„Warum müssen sie uns wie die Tiere behandeln?“

■ Seit Wochen müssen Flüchtlinge vor der Asylstelle der Ausländerbehörde unter freiem Himmel kampieren / Manche warten seit fünf Tagen darauf, einen Asylantrag stellen zu können / Die Behörde ist überlastet, die Mitarbeiter überfordert - Abhilfe soll erst in sechs Monaten geschaffen werden

Wedding. Der Wettergott meint es gut an diesem Abend und beläßt es bei einem kurzen Nieselregen. Petr, eingezwängt in eine drängelnde Menschenmenge zwischen einem engen Spalier von Polizeigittern, zieht den Reißverschluß seines Anoraks hoch und den Kopf ein wenig ein. Im Müll nach Plastiktüten zu suchen, wie es ein paar andere machen, dazu ist er zu stolz. „Die ganze Prozedur ist doch schon entwürdigend genug“, sagt er und zeigt auf den Anfang der Schlange. Dort hat der Kampf um die besten Plätze am Eingang zur Ausländerbehörde heute schon um 8 Uhr abends begonnen. Es wird gedrängelt, gestoßen, geschlagen und gebrüllt. Die körperlich schwächeren geben auf, quetschen sich durch das Gitter heraus, mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung im Gesicht schleichen sie wieder ans Ende der Schlange. Frauen und Kinder haben in diesem Nahkampf keine Chance.

Rund 400 Menschen haben sich vor der Ausländerbehörde am Friedrich-Krause-Ufer mitten im Industriegebiet zwischen Nord- und Westhafen auf eine naßkalte Nacht unter freiem Himmel eingerichtet. Sie hoffen, am nächsten Morgen um 7 Uhr eine der begehrten Wartemarken zu bekommen und dann, nach weiteren Stunden des Wartens, einen Asylantrag stellen zu können. Ohne Asylantrag keine Sozialhilfe, ohne Sozialhilfe kein Heimplatz, ohne Heimplatz kein Essen. Von den benachbarten Schrottplätzen haben einige Flüchtlinge Baubretter geholt und sie als Bankersatz zwischen die Gitter gelegt. Dicht an dicht gedrängt sitzen sie da, halten sich durch Rauchen wach - mehr Bewegungsfreiheit, als die Zigarette zum Mund zu führen, läßt das Gedränge gar nicht zu. Petr wartet hier seit 48 Stunden, hat nach zwei durchwachten Nächten frühmorgens am Eingangstor immer nur ein barsches „Für heute ist Schluß“ zu hören bekommen. „Manchmal lassen sie hundert rein, manchmal hundertfünfzig.“ Sein Sitznachbar hat nach vier Tagen Warten, Kälte und Aggressionen die Schnauze voll, will nur eines: „weg aus Deutschland“. Genau das, glaubt Petr, wolle die Ausländerbehörde wohl erreichen. „Die testen hier, wer es am längsten aushält.“ Einmal schon war er an den Anfang der Schlange vorgerückt, da haben ihm andere mit Drohgebärden bedeutet zu verschwinden - er wollte sich nicht prügeln und räumte den Platz. „Hier wird der Mensch zum Wolf des anderen“, sagt er. Die körperlich meist kleinen Vietnamesen haben keine andere Chance, als die Stärksten in der Schlange mit D-Mark zu bestechen, um nach vorne gelassen zu werden. Andere Flüchtlinge ergattern morgens Wartemarken, die sie selbst nicht brauchen, und verkaufen sie für fünfzig Mark weiter. Petr fragt sich, warum die Polizei nicht eingreift, wo die Deutschen doch sonst immer so ordentlich sind. Die Antwort gibt er sich gleich selbst: „Die wollen gar nicht, daß hier Ordnung herrscht.“

Dann kommt sie doch in Gestalt von einem Dutzend Beamten in Kampfanzügen, Helm und Schlagstock in der Hand. Die Plastikpanzer unter der Uniform, der Kinnschutz und die Schienbeinschützer lassen sie vor dieser Szenerie wie Statisten in einem schlechten Science-fiction erscheinen. Aus den Helmen dröhnen kurze Kommandos in Pidgin-Deutsch, als sie die Menschenmenge vom Eingang in das Gitterspalier zurückdrängen. Wer sich nicht sofort bewegt, wird an den Haaren gezogen oder am Kragen gezerrt. Keiner protestiert oder wehrt sich. Unter denen, die Stunden zuvor aus der Schlange gestoßen wurden, wird sogar Beifall laut. „Wenn Sie nicht hier wären“, sagt ein Deutschrumäne freundlich zu einem zufällig anwesenden Pressefotografen, „dann hätten sie die jetzt verprügelt.“ Petr beobachtet die Beamten aus einiger Entfernung. Angst hat er nicht. „Ich bin so was aus Rumänien gewöhnt.“ Eine halbe Stunde später ist der Einsatz beendet und die Ordnung so weit hergestellt, daß auch die Baubretter per Polizeilaster abtransportiert worden sind. Das Dösen im Sitzen entfällt diese Nacht. Wer schlafen will, muß sich auf einen der Pappkartons oder Matratzen vom Sperrmüll legen. Einige Flüchtlingsfamilien richten sich an der Böschung zum Kanalufer ein Nachtlager her. Auf die Idee, wenigstens ein paar Zelte des Deutschen Roten Kreuzes vor der Ausländerbehörde aufzustellen, ist man nach Auskunft des Staatssekretärs aus der Innenverwaltung, Detlef Borrmann, bislang nicht gekommen. „Ich weiß nicht, ob das sachgerecht wäre.“

Daß die Asylstelle aufgrund der steigenden Zahl von Antragstellern völlig überlastet und die Mitarbeiter überfordert sind, weiß man im Senat seit Wochen. Innensenator, Sozialsenatorin und Abgeordnete von SPD und AL haben sich inzwischen darauf geeinigt, den ganzen Behördenkomplex auf ein größeres Gelände an der Lehrter Straße im Tiergarten zu verlegen. Ein entsprechendes Gebäude wird frühestens in sechs Monaten fertig sein. Über die Zustände am Friedrich-Krause-Ufer wird in der Innenverwaltung zwar nachgedacht, unternommen wurde bislang nichts.

Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John und die AL sonst nicht immer einer Meinung - fordern unisono, das Verfahren einfach umzudrehen: nicht mehr die Flüchtlinge sollen zur Ausländerbehörde kommen, sondern die Ausländerbehörde zu den Flüchtlingen. Mit mobilen Teams von Sachbearbeitern könnten die Asylanträge ebensogut in den Wohnheimen entgegengenommen werden. Dort ließe sich in etwas entspannterer Atmosphäre zumindest ein kurzes Beratungsgespräch durchführen. Familien würden nicht mehr auseinandergerissen und in verschiedene Bundesländer verteilt. „Wir prüfen die Vorschläge“, heißt es in der Innenverwaltung. Dank einer Initiative der Ausländerbeauftragten ist die Asylstelle nun immerhin im Besitz einer Kassette, mit der die Wartenden in verschiedenen Sprachen darüber informiert werden können, daß sie wieder einmal vergebens gewartet haben. „Warum geben sie uns nicht Nummern mit Terminen, dann kommt jeder zurück, wenn er dran ist“, sagt Petr. „Sie müssen uns doch nicht wie Tiere behandeln.“

Dann ist er doch eingeschlafen, wenn auch nur für eine Stunde. Als morgens, kurz vor Öffnung der Behörde, der Kampf um die besten Plätze am Eingang wieder losgeht, ist ihm hundeelend. Nach zwei Stunden hält er dann doch die ersehnte Wartemarke in der Hand. Ein bißchen Galgenhumor ist ihm geblieben. „Solange bin ich nicht mal zu Hause für irgendwas angestanden.“

Andrea Böhm