: Spätfolgen der „Bronzezeit“
■ Mediziner registrieren eine explosionsartige Zunahme bösartiger Hauterkrankungen / Ergebnis eines unbekümmerten Umgangs mit Urlaubs- und Höhensonne, Solarien, Münz-Grills und dem Ozonloch
„Die Haut vergißt nichts“ - eine bittere Erkenntnis für all jene Bräunungsfanatiker, die stets danach trachteten, ihr nacktes Fleisch möglichst oft und lange in der Sonne zu bruzzeln. Seien wir ehrlich: Wem gilt der bronzene Teint nicht immer noch als Ausdruck von Fitneß, strahlender Gesundheit und jugendlicher Frische? In Wahrheit bewirken ausgiebige Sonnenbäder genau das Gegenteil. Runzeln, Altersflecken, Pergamenthaut sind die unauslöschlichen Folgen der ultravioletten (UV-)Strahlen auf die menschliche Haut. „Jede Falte ist ein UV-Schaden, jeder Sonnenbrand ist ein Baustein zum späteren Hautkrebs“, sagt Professor Eckhard Breitbart, Chef der Universitäts-Hautklinik Hamburg -Eppendorf und Sprecher der „Kommission zur Früherkennung von Hautkrebs“.
Wie kaum eine andere Tumorart hat vor allem der „schwarze Hautkrebs“ zugenommen - das gefährliche Melanom, an dem heute in der Bundesrepublik sechsmal soviele Menschen erkranken wie vor zwanzig Jahren und pro Tag zwei bis drei Menschen sterben. Doch auch die anderen Hautkrebse verzeichnen traurige Zuwachsrekorde. Über 100.000 Bundesdeutsche sind von Hautkrebs befallen. Ursachen sind zum einen die immer löcheriger werdende Ozonschicht, die die Erdkugel in etwa 12 Kilometer Höhe umhüllt und wie ein Filter den gefährlichsten Teil der UV-Strahlen zurückhält. Nimmt sie um ein Prozent ab, bedeutet das eine fünfprozentige Zunahme bestimmter Hautkrebsarten. So wird sich das Strahlenrisiko in den kommenden Jahrzehnten noch erhöhen, denn erst bis zum Jahre 2000 wollen die Industrieländer die Produktion der ozonschädigenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) stoppen, die dann noch mindestens sechzig Jahre, vielleicht aber auch viel länger ihre katastrophale Wirkung in der Stratosphäre haben.
Dennoch sind wir dem Hautkrebs nicht machtlos ausgeliefert, denn seine epidemieartige Ausbreitung ist auch durch individuelle Verhaltensweisen bedingt. Die Lichtenergie, mit der unser Körper während eines nachmittäglichen Sonnenbades fertigwerden muß, könnte fünf 100-Watt-Glühbirnen leuchten lassen.
Solarien als
„tödliche Waffen“
Viele Urlaubsreisen in den sonnigen Süden wirken sich auf die Hautkrebsrate genauso fördernd aus wie regelmäßige Besuche in sogenannten Solarien, die es überhaupt erst seit vierzehn Jahren gibt. „Die Latenzzeit bei Hautkrebs beträgt etwa dreißig Jahre“, so Breitbart, „das dicke Ende kommt also erst noch.“ Ohne genaue Beratung über Gerätetypen, Filtersysteme und Bestrahlungszeiten können solche Bräunungsstudios laut Breitbart zu „fast tödlichen Waffen“ werden. Bräunungsmittel sind für ihn Genußmittel, die in die Verantwortung des Einzelnen fallen: „Zu mir kommen heute 25jährige mit einer Haut, die man früher nur bei Sechzig oder Siebzigjährigen finden konnte.“
Unter dem Motto „Achtung, Sonne“ hat der engagierte Sprecher der Früherkennungs-Kommission deshalb eine Kampagne gegen den Hautkrebs gestartet, die auf präventives Verhalten sowie Selbstuntersuchung und rechtzeitige Therapie zielt. In einer breit verteilten Broschüre werden Sonnenhungrige detailliert über die Wirkung von UV-Strahlen, Sonnenschutzmittel und Bräunungsgeräte aufgeklärt. Gefährlich sind vor allem die kurzwelligen UVB-Strahlen, die das Erbgut in den Zellkernen der Haut angreifen. Kommt der „zelleigene Reparaturdienst“ mit der Heilung nicht mehr nach, können die geschädigten Zellen schließlich zu Krebs mutieren. Gerade bei wiederholten Sonnenbränden summieren und festigen sich die Schäden, die sich in Pigmentveränderungen, Verhornungen und schließlich bösartigen Wucherungen äußern. Sie entstehen vorwiegend im Gesicht, auf Hals, Nase, Hand- und Fußrücken, die Fachleute die „Sonnenterassen“ des Körpers nennen. Faustregel: Wer die Bestrahlung verdoppelt, vervierfacht sein Krebsrisiko.
Die drei häufigsten Hautkrebsarten:
-Das Melanom bildet aus den Pigmentzellen der Haut ein unregelmäßig geformtes, braun-schwarzes Mal, das sich klar von anderen Pigmentmalen wie Leberflecken oder Muttermalen abhebt. Bei der Entstehung dieses bösartigsten Hautkrebses spielen auch genetische Faktoren eine Rolle, die Sonne hat vermutlich keinen auslösenden, sondern einen Promotor -Effekt.
-Vorstufen zum ebenfalls bösartigen Stachelzellkrebs sind Hautveränderungen oder rötliche Stellen, die nicht abheilen und sich wie Sandpapier anfühlen.
-Der häufigste Hautkrebs ist der Basalzellkrebs, der langsam wächst und in der Regel an einem Ort bleibt. Unbehandelt kann er sehr groß werden. Stachel- und Basalzellkrebs werden praktisch ausschließlich durch UV -Strahlen ausgelöst.
Alle Hautkrebsarten sind heilbar, wenn man sie frühzeitig entdeckt, wobei die Selbstuntersuchung mit Hilfe von Partnern für Breitbart eine wichtige Rolle spielt. Bei konkretem Verdacht, so rät der Hautspezialist, sollte sich man oder frau zunächst an die Hausärzte wenden. Die viel zu wenigen Hautfachärzte (1.800 niedergelassene Hautärzte in der BRD, Durchschnittsalter: 58 Jahre) könnten seiner Einschätzung nach den tatsächlichen Früherkennungsbedarf alleine gar nicht schaffen.
Helle Haut
besonders gefährdet
Sonnenstudios ohne geschultes Beratungspersonal, vor allem die „Münz-Griller“, sollte man meiden, raten die Hautkrebsexperten. BesucherInnen sollten nach den Betriebsanweisungen der Geräte, nach den Bestrahlungszeiten ihrem Hauttyp und Augenschutzbrillen fragen. Merke: UVB -Strahler erhöhen das Krebsrisiko, aber auch UVA-Strahlen beschleunigen das Altern der Haut. Höhensonne ist generell zu gefährlich. Sonnenallergien können durch Stoffe in Medikamenten oder Kosmetika ausgelöst werden - zur Vorsicht wird insbesondere bei Psychopharmaka, Antibiotika und Entwässerungstabletten geraten. Auch Parfum, Deoderant oder Make-up können gefährlich sein.
Die Empfindlichkeit variiert stark je nach Hauttyp des Einzelnen. Menschen mit heller Haut sind besonders gefährdet, weil sie kaum über Schutzmechanismen verfügen. Die lassen sich auch durch starke Sonnenschutzmittel nur begrenzt kompensieren. Es empfiehlt sich ohnehin, zum Lichtschutzfaktor zehn bis fünfzehn zu greifen. Doch auch wer glaubt, er könnte mit einer dicken Salbenschicht endlos lange in der Sonne braten, sollte bedenken: Die Ganzkörperschmiere gelingt fast nie lückenlos.
Mit seiner Kampagne gegen den Hautkrebs hat sich der Universitätsprofessor Breitbart nicht nur den Unwillen der Sonnenstudiobetreiber zugezogen: „Aktionen dieser Art machen einen zum Freiwild von Ärztekammern“, weiß der Kämpfer gegen den unbekümmerten Umgang mit der Sonne. Noch im letzten Jahr hätten ihm die Landesärztekammern „Vorteilsnahme einer einzigen Fachdisziplin“ und „unlauteren Wettbewerb“ vorgeworfen. „Aber dieses Jahr“, beschwichtigt er, „machen alle mit.“
Gabi Haas
Kontakt: Kommission zur Früherkennung von Hautkrebs, Universitäts-Hautklinik Hamburg-Eppendorf, Postfach 20 11 44, 2000 Hamburg 20.
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