: Deutsche Normalität?
■ Nachtrag zum gestrigen Editorial
ERWIDERUNG
„Auf deutschen Straßen und Plätzen ist wieder was los.“ In der Tat. Auch in den Redaktionsräumen der taz. Denn nach einem Editorial des Inlandredakteurs Axel Kintzinger (gestern auf Seite 2), das die Normalität des deutschen Nationalismus am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft beschwor, schlugen die Wogen in der Redaktion hoch.
„Feiert deutscher Größenwahn fröhliche Urständ? Darf man sich so offen zu Deutschland bekennen, dessen Name doch nicht ausgesprochen werden darf, ohne an Auschwitz zu denken“, wurde da rhetorisch gefragt und gleich geantwortet: Die „jungen Leute nehmen sich in Deutschland etwas heraus, was den freudetrunkenen Massen von Rom oder Buenos Aires niemals übelgenommen worden ist.“ Was sie sich herausnehmen wird distanzlos referiert.
„Die Massen ... ziehen in den öffentlichen Raum und freuen sich kollektiv.“ Was, so fragt der Autor, ist denn schlecht daran, wenn die sich freuenden Massen auf die „Straßenverkehrsordnung pfeifen“, „blau machen“, und sich die sonst als „anonyme Knotenpunkte des motorisierten Individualverkehrs“ ausgemachten Plätze der Städte „wieder aneignen“. Was zählt da schon die Klage, daß ein paar Skinheads Jagd auf Ausländer machen, von den Rängen herab die Schiedsrichter ins „Gas“ gewünscht werden.
Der Autor will Normalität für die Deutschen. Und was fällt ihm bei Normalität ein? Auschwitz! „Vielleicht vergessen sie dabei Auschwitz. Aber sie bereiten keine Neuauflage von Auschwitz vor.“ Schließlich sei doch „der öffentliche Raum als Ort plebiszitären Handelns wiederentdeckt (und wiedererobert)“. „Was zum Teufel soll daran schlecht sein?“ Hurra, die Deutschen dürfen wieder feiern ohne an Auschwitz zu denken. Was die Noltes im Historikerstreit vorexerzierten - die Identitätsfindung der Deutschen jenseits von Ausschwitz - ist heute hoffähig: Als „Editorial“ in der taz und festgemacht ausgerechnet am Fußball.
Halb spöttisch registriert er Intellektuellenfeindlichkeit ist wieder „in“ -, daß „die Begleiterscheinungen auf Intellektuelle (und auch auf das Bürgertum) so befremdlich wirken.“ Das Volk, die „Massen“ zeigen nun, daß man unbeschwert Deutschlands Sieg feiern kann. Doch zuerst mussten die historischen Altlasten entsorgt werden, um mitfeiern zu dürfen: Ein Auschwitz wird eben nicht vorbereitet. In deutschen Landen ist Normalität eingekehrt. „Sieg“ aus deutschem Mund hat keine besondere Konnotation mehr. Der deutsche Autor darf getrieben von der Sehnsucht nach Volksnähe - mitjubeln.
Als die rechten Historiker im sogenannten „Historikerstreit“ den Schlußstrich unter Auschwitz ziehen wollten, intervenierten Liberale und Linke. Es kam zum Eklat. Mit ein paar Jahren Verspätung - nicht zufällig nach dem Fall der Mauer - liest man die Geschmacklosigkeiten der herrschenden Geschichtsideologie in der taz. Alles vergessen, zusammen mit den Massen? Die Ratio muß da nur störend wirken. Nein, danke.
Ömer Erzeren, Erich Rathfelder
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