Psychose an Bord

■ „Midnight Crossing - Nur das Meer ist ihr Zeuge“, 22.50 Uhr, RTL

Blendend fällt das grobkörnige Sonnenlicht durch die Fenster des verlassenen Marinestützpunkts. Wir befinden uns auf einer kleinen Insel irgendwo vor der kubanischen Küste. Der Matrose, im gleißenden Gegenlicht zur Silhouette einer Comicfigur reduziert, versteckt hastig eine Tasche voller Banknoten unter den Dielenbrettern, als er von einem Offizier überrascht wird. Ein Kampf folgt, kurz, verbissen und grausam. Wie alle Kämpfe, die um Geld ausgefochten werden.

Unwirklich und gespenstisch steht dieser kurze Prolog wie ein eratischer Block vor der eigentlichen Geschichte. Kurze Zeit später schon befinden wir uns auf hoher See. Beruhigend umkreist die Kamera in weitem Bogen eine stattliche Segelyacht. Auf der tiefblauen Wasseroberfläche funkeln verführerische Lichtpunkte wie Diamanten, und das dreieckige Weiß des Segels bläht sich unschuldig in den Wind. Als befänden wir uns in der Lord-Extra-Reklame. Die tödliche Auseinandersetzung um die Geldtasche erscheint vergessen und fern wie eine böse Nachtmar.

Wie ein Traum, allerdings einen, den wir bei Tag zu träumen pflegen, erscheinen dagegen die folgenden Bilder, mit denen Regisseur Roger Holzenberg die Geschichte erzählt. Der erfolgreiche Geschäftsmann Morly (D.J.Travanti) befindet sich finanziell in der Klemme und erinnert sich an jenen Schatz, den er vor nunmehr dreißig Jahren versteckt hat. Unter dem Vorwand, seiner erblindeten Frau Helen (Fay Dunaway) zum Hochzeitstag eine Kreuzfahrt zu schenken, geht er mit einer kleinen Crew auf Schatzsuche. Wir ahnen bereits, daß das nicht gutgeht...

Bevor die klaustrophobische Enge auf dem Urlaubsboot zwanglos ins Pathologische abgleitet, läßt der Regisseur genüßlich die optischen Schablonen hinlänglich bekannter Werbetrailer Revue passieren. Im magischen Bermuda-Dreieck zwischen Becks-Bier, Stuyvesant und Lord Extra kündigt sich Gefahr an. Weniger der Geschmack als die Angst einer neuen Generation ist angesprochen, wenn Helen den vergnügt Badenden die Melodie aus dem „Weißen Hai“ zusummt, worauf sich die Kamera bedrohlich aus der Unterwasserperspektive nähert. Wer noch nicht weiß, daß mit Barcadi alles geht, wird verwundert sein, daß Jeff, der angeheuerte Kapitän des Bootes, einen posthumen Auftritt als blutiger Rächer hat, nachdem er bei einer Rangelei um die Geldtasche mit einem Balken erschlagen wurde.

Jetzt geht die Post ab: Psychose an Bord, Intrigen, Überraschungen, Gemeinheiten, Abgründe. In diesem Zitatendschungel spielt Holzenberg die Mittel der Groteske gegen die systematische Entwirklichung aus. Wenn sich die blinde Helen, die am Ende von ihrem harpunierten Mann in die Enge getrieben wird, noch als Detektivin zu erkennen gibt, die ihre Blindheit nur zu Ermittlungszwecken vorgetäuscht hat, zerbricht die ästhetisch simulierte Werbewelt endgültig in die Fragmente eines Alptraums. Ein Alptraum, der direkt unter der Oberfläche jener schmierseifenglatten Bilder wohnt, mit denen uns der Film ein triviales Paradies vorgaukeln wollte. Der Kreis hat sich geschlossen. Der traumartige Vorspann wirkt jetzt nicht mehr wie ein abgetrenntes Stück, sondern wie die komprimierte Kurzfassung des gesamten Films.

Rie