: Südwesten bleibt Späths Glanzstück
■ Regierungserklärung zur Hälfte der Legislaturperiode / Mit dem Ländle steht's danach zum besten / Der Text liest sich wie die Magisterarbeit eines Regierungssprechers / Opposition antwortet heute
Von Erwin Single
Stuttgart (taz) - Das Musterländle bleibt Spitze. Seine Regierung, verkündete voller Stolz der Ministerpräsident der Firma Baden-Württemberg, habe früher als andere die Dynamik grundlegender struktureller Veränderungen erkannt und die richtigen Konzepte und Ansätze gewählt. Damit zog Lothar Späth - wie nicht anders zu erwarten - gestern im Stuttgarter Landtag eine durchweg positive Bilanz seiner Politik.
Daß ihm eine Latte landespolitischer Mißerfolge angelastet und seine Regierungsarbeit zur Halbzeit der Legislaturperiode von den Zeitungen madig geschrieben wurde, wollte der sonst so sicher auf den Spuren des Fortschritts wandelnde Lothar Späth nicht auf sich sitzen lassen. „Jetzt haben wir alle Halbzeitbilanzen gelesen, nun machen wir unsere eigene“, hatte Späth vor wenigen Tagen bissig verkündet. Da den Anforderungen der „Welt von morgen“ nicht mit „tagesaktuellen Maßnahmen“, sondern nur mit „langfristig angelegten strategischen Ansätzen“ beizukommen sei, hatte Späth vorsorglich seinen Bewertungsbogen auf die letzten zehn Jahre seiner Amtszeit ausgeweitet.
Doch die 123 Seiten umfassende Regierungserklärung fiel aus, als hätten die Ghostwriters in der Villa Reitzenstein die Erfolgsmeldungen aus alten Presserklärungen aneinandergereiht und mit markigen Sprüchen aus dem „O-Ton -Service“ des Regierungssprechers angereichert. Errungenschaften in der Umweltpolitik, Planerfüllung bei den Finanzen, Fortschritte in der Schul- und Bildungspolitik wurden aufgezählt; selbst die oft kritisierte Sozialpolitik sei im Resultat positiv.
Daß das „Modell Baden-Württemberg“ erfolgreich sei, zeige sich jedoch am eindrucksvollsten in der Wirtschaft. Der Südwesten habe in den vergangenen zehn Jahren ein über 20 Prozent höheres Wirtschaftswachstum als der Bund erzielt. Auch die anderen Zahlen stimmen: Exportweltmeister, höchstes Bruttosozialprodukt, überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum und niedrigste Arbeitslosenquote. Alles das sei das Ergebnis einer erfolgreichen integrierten Wirtschafts-, Technologie- und Strukturpolitik, erklärte Späth, die Baden-Württemberg zu der „führenden Technologieregion im Herzen Europas“ gemacht habe.
Späth ließ keinen Zweifel daran, daß er weiter auf die europäische Karte setzt. Die großen Überlebensfragen der Menschheit seien nicht mehr auf der Ebene von Nationalstaaten lösbar. Deshalb dürfe sich Europa nicht nur auf einen Wirtschaftsraum beschränken, sondern erfordere eine „einheitliche Sicherheits- und Außenpolitik“ sowie „weitreichende Kompetenzen für Umweltschutz und den Infrastrukturbereich“. Ob in der Bilanz alles stimmt, wird sich heute bei der Aussprache weisen.
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