: „Die Regierung wollen wir nicht stürzen“
■ Interview mit Luciano Torres, Verantwortlicher für internationale Beziehungen der Nationalen Arbeiterfront (FNT) Nicaraguas / Die Streiks hätten keine politischen, sondern gewerkschaftliche und wirtschaftliche Gründe
taz: Zeichnet sich nach den blutigen Zwischenfällen der letzten Tage eine Lösung des Arbeitskonfliktes ab?
Luciano Torres: Wir haben versucht, ein Klima der Flexibilität zu schaffen, damit sich die Regierung heute auf Verhandlungen einläßt. Die FNT hat in einem Kommunique nochmals die Notwendigkeit von Verhandlungen unterstrichen.
Unseren Mitgliedern haben wir empfohlen, überall die Barrikaden abzubauen und sich in die Betriebe zurückzuziehen, um die Gespräche abzuwarten.
Hat der Streik inzwischen auch auf andere Städte übergegriffen?
In den meisten Städten wird gestreikt, und die Verbindungsstraßen sind alle durch Barrikaden blockiert.
Hat die Regierung bereits auf euer Kommunique geantwortet?
Offiziell noch nicht. Inoffiziell haben wir aber erfahren, daß es eine grundsätzliche Bereitschaft zu Gesprächen gibt.
Ist die Armee noch in den Straßen präsent?
Armee und Polizei sind heute in ganz Managua unterwegs, um die Straßen freizumachen.
Hier spricht man von mehreren Toten bei den Auseinandersetzungen.
Insgesamt gibt es 60-70 Verletzte und fünf Tote, die von regierungsnahen paramilitärischen Gruppen provoziert wurden. Die meisten in Managua. Ein Landarbeiterführer wurde in Matagalpa ermordet.
Wenn es nicht zu Verhandlungen kommt oder die Gespräche neuerlich abgebrochen werden, wollt ihr auch einen Sturz der Regierung in Kauf nehmen?
Der Streik hat rein gewerkschaftlichen und wirtschaftlichen Ursprung. Denn die Maßnahmen der Regierung sind ein Schlag gegen die Löhne der Arbeiter. Die Regierung wollen wir nicht stürzen. Im Gegenteil: Sie hat diese Wahlen gewonnen und soll jetzt mit demokratischen Mitteln regieren. Wir richten uns nur gegen die Wirtschaftspolitik, die das Land in eine tiefe Krise gestürzt hat.
Seht ihr eine Gefahr, daß rechtsextreme Gruppen innerhalb der Regierung die Situation nützen, um selbst an die Macht zu kommen?
Es hat derartige Versuche gegeben. Zum Beispiel durch Vizepräsident Godoy gemeinsam mit anderen Kräften. Sie haben sogar Contra-Truppen aus den Lagern geholt, die gestern in Managua Straßenkämpfe anzettelten. Die Regierung hat jedoch kategorisch erklärt, daß sie solche Entwicklungen nicht zulassen wird.
Wenn es zu Verhandlungen kommen sollte: Werdet ihr nur auf der Einhaltung des Abkommens vom Mai bestehen, oder gibt es zusätzliche Forderungen?
Die FNT hat einen 18-Punkte-Vorschlag vorgelegt, der die Beteiligung der Gewerkschaften an der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik fordert. Außerdem verlangen wir einen Mindestlohn von 200 US-Dollar.
Die Regierung zahlt zwar den Arbeitern die Löhne in Cordobas, verrechnet aber Wasser, Strom und andere Elemente der Basisversorgung in Dollars. Außerdem soll die Regierung die Pensionen erhöhen und ihre Schulden in Millionenhöhe bei den Bauunternehmen bezahlen, sonst gehen die pleite und Tausende verlieren ihren Job. Die Regierung hat im Juni bei der Spenderkonferenz in Rom Geld für die Reaktivierung der Industrie bekommen. Das soll sie jetzt investieren.
Das Erziehungs- und Gesundheitswesen sowie der öffentliche Transport sollen mehr Mittel bekommen.
Das Gespräch führte Ralf Leonhard telefonisch von der Redaktionszentrale in Berlin aus
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