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Ein arbeitsloser Grenzfall

■ Eine Arbeitslose aus der DDR muß für Einarbeitungszuschuß Westpaß beantragen

Ost-Berlin. „Da krieg‘ ich als arbeitslose DDR-Bürgerin 'ne Stelle bei 'ner Westfirma, und die erklären mir, ich müßte nach West-Berlin ziehen und 'nen BRD-Paß beantragen, weil sie sonst die Einarbeitungszuschüsse vom Arbeitsamt nicht kriegen!“ Ilse P. schäumt vor Wut: „Unsere Arbeitslosen sind wohl weniger unterstützenswert als Westarbeitslose oder was?“

Der Versuch, den Fall aufzuklären, wurde zu einer Odyssee durch die Behörden. Die Sekretärin beim Ostberliner Ministerium für Arbeit und Soziales konnte nur erklären, daß „BRD-Bürger grundsätzlich bessergestellt sind“. Einarbeitungszuschüsse allerdings, die das Arbeitsamt an Firmen zahlt, die „schwer vermittelbare“ Arbeitslose für längere Zeit einstellen, gibt es auch nach dem neuen DDR -Recht.

„Man kann im Moment nie sagen, amtlich ist etwas soundso, da zur Zeit soviel an den Gesetzen rumgebastelt wird,“ erklärt Herr Günter von der Pressestelle des Ostberliner Ministeriums für Arbeit und Soziales und verweist an Herrn Thiede. Herr Thiede wiederum erläutert, daß das Ministerium keine Befugnisse habe, „die Arbeitsämter treffen Entscheidungen und können Zuschüsse gewähren“.

Bei der Zentralen Arbeitsverwaltung ist ein Dr. Karsch für Arbeitslosenhilfe zuständig. Er erklärt, er kenne sich bei diesen Zuschüssen nicht aus, er könne sich aber nicht vorstellen, daß die Einarbeitungszuschüsse abhängig von der Staatsangehörigkeit seien. In der Ostberliner Zentralen Arbeitsverwaltung ist niemand erreichbar, der definitiv Auskunft geben kann.

Beim Westberliner Arbeitsamt erläutert der zuständige Abteilungsleiter der taz, daß Einarbeitungszuschüsse ohne Ansehen der Staatsbürgerschaft gewährt würden. Das Arbeitsamt in West-Berlin zahlt jedoch nur für in West -Berlin wohnende Arbeitnehmer. Da Ilse P. in Ost-Berlin wohnt, kriegt die Firma für sie also kein Geld. Die Zuschüsse werden nur vom Arbeitsamt gezahlt, bei dem der Bürger arbeitslos gemeldet ist.

Nochmaliges Telefonat mit der Zentralen Arbeitsverwaltung. Der Pressereferentin gelingt es, einen kenntnisreichen Mitarbeiter aufzutreiben. Herr Pietsch erläutert: Ja, die Einarbeitungszuschüsse würden in der DDR gezahlt, genauer gesagt: „Die Summen sind geplant, werden jedoch noch nicht gebraucht.“ Von so einem Grenzfall hat er noch nicht gehört, er ist der taz dankbar für den Hinweis. „Ich bin morgen den ganzen Tag da, es wäre schön, wenn sie mit Frau P. vorbeikommen würden.“

Aber dazu hatte Frau P. keine Lust: „Ich bin nicht auf neue Behördengänge aus. Außerdem bin ich als Westbürger im Notfall besser gestellt.“ Sie wird deshalb das tun, was sie bisher strikt ablehnte: ihre Staatsangehörigkeit für die letzten sechs Monate aufgeben und eine Westberliner Adresse nehmen.

A.Z.

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