Brav, bieder und beliebig

■ DDR-Frauenzeitschrift 'Für Dich‘ auf dem BRD-Markt / Ansprechendes Layout und kritiklose Texte Die Wende schlug sich in der redaktion - noch - nicht nieder

23FLIMMERN UND RAUSCHEN

SAMSTAG, 14.7.90dietageszeitung

Von Heide Soltau

Die Idee ist gut. Eine Zeitschrift über Frauen, von DDR -Journalistinnen geschrieben, „die im Sinne von Frauen und nicht im Sinn von Parteien berichten“. Produziert in Berlin -Ost und gedruckt bei Springer in Ahrensburg, ist die Wochenzeitschrift Für Dich seit Mitte Juni auch im Westen zu haben.

Und ansprechend sieht sie aus: viele große Fotos in Farbe und Schwarz-Weiß, klare, einfache Bilder ohne modische Schnörkel, ebenso einfach wie das gesamte Lay-out und weit entfernt von ästhetisch durchgestylten Frauenmagazinen wie Cosmopolitan, Vogue oder Brigitte. Aber für 1.50 DM ist das nicht zu erwarten. Und auch sonst unterscheidet sie sich von den bundesdeutschen Hochglanzgazetten. Mode und Schönheit gibt es erst auf den letzten Seiten und Werbung bislang nur wenig. Im Mittelpunkt steht der redaktionelle Teil.

Zum Beispiel die reich bebilderte Reportage über die Ministerin für Arbeit und Soziales, Regine Hildebrandt. Sie informiert über den Arbeitsalltag der SPD-Frau, die mit viel persönlichem Engagement die schlimmsten Folgen der Neuordnung verhindern will und doch nur wenig ausrichten kann. Ein freundlicher Bericht, die Frau „ist mir sympathisch“, schreibt die Journalistin Brigitte Hussein.

Sie hätte es nicht ausdrücklich sagen müssen, man merkt es in jeder Zeile. Kritische oder gar bissige Töne fehlen. Wie überhaupt die von Für Dich vorgestellten Menschen, viele Männer und wenige Frauen, allesamt lieb und nett erscheinen. Die Fernsehregisseurin Christa Mühl, der Bassist und Unterhaltungsstar Gunther Emmerlich aus Dresden, der Maskenbildner Wolfgang Utzt, der Biologe und Verhaltensforscher Günter Tembrock oder die bundesdeutsche Graue Pantherin Trude Unruh. Es menschelt gleichförmig vor sich hin. Die Kolleginnen beten nach, was ihnen ihre Gesprächspartner sagen. Was tut die Ministerin zum Beispiel für Frauen? Welchen Stand hat sie in ihrer Partei? Und kann sie überzeugen? Ich will nicht nur wissen, was sie sagt, sondern auch, wie sie es ausdrückt.

Ein anderes Beispiel: Die Reportage über Kuweit im folgenden Heft. Titel: „Nach altem Beduinenbrauch?“ Aber im Vorspann ist von Meer, Beton und Hitze die Rede. Was erwartet mich auf den folgenden sieben Seiten? Ein Gemisch aus landeskundlichen Informationen, die jedem Lexikon zu entnehmen sind. Beduininnen kommen nicht zu Wort, nur Ali, ein junger Mann, der sich eine Frau aus der DDR wünscht. Warum? Erfahre ich nicht. Daß die Reporterin an der Beduinenhochzeit im Frauenhaus nicht teilnehmen darf, ist schade, aber ihr kurzer Besuch im Harem hätte genügen müssen, um farbige Eindrücke und Beobachtungen wiederzugeben.

Statt dessen lesen wir von „sehr jungen Mädchen in grellfarbenen Kleidern“ und einer „fülligen Dame“. Dürre, nichtssagende Worte, die in der abschließenden Botschaft gipfeln, daß „mandeläugige, junge Damen“ in der Stadt nicht verschleiert sind und den Für Dich-Fotographen anflirten. Ein dilettantischer, für eine Frauenzeitschrift darüberhinaus noch peinlicher Artikel.

Ein drittel Beispiel: das Dossier zum Thema Selbstmord. Auch hier ist die Präsentation mangelhaft und beliebig. Warum das Thema gerade jetzt im Blatt steht, wird den Leserinnen vorenthalten. Die politisch und sozialpsychologisch interessanten Informationen stehen auf der dritten Seite in einem Kästchen. Dort erfahren wir nämlich, daß die DDR, nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation in ausgewählten Ländern, bezüglich der Selbstmordrate bei Männern an zweiter und bei Frauen an dritter Stelle rangiert. Aber der Hinweis verpufft, weil journalistisch damit nichts mehr gemacht wird.

Ärgerlich auch der Artikel zum Schwangerschaftsabbruch. Viele Frauen in der DDR sind verunsichert und haben Angst vor der Einführung des Paragraphen 218, zumindest nach Berichten in den Westmedien. Aber wie sieht es wirklich aus? Wie denken die Frauen heute über Abtreibung, und wie haben sie vor einem Jahr darüber gedacht? Wie reagieren Betroffene und Ärztinnen? In dem Artikel werden drei Frauen vorgestellt, die sich zum Abbruch entschließen, aber es wird über sie geschrieben, statt sie selbst zu Wort kommen zu lassen. Eine verpaßte Chance. Wir Wessis erfahren nichts, was wir nicht schon wüßten.

Blättern wir abschließend im letzten Heft, das mit der Titelgeschichte „Wenn der Mann Ausländer ist...“ aufwartet. Kein aktueller Bericht über Ausländerfeindlichkeit in der DDR und die Erfahrungen einer Familie, wie die Überschrift vermuten läßt. Statt dessen die rührende Lovestory zwischen einer DDR-Bürgerin und einem jungen Laoten, die erst Berge bürokratischer Hindernisse überwinden mußten, um endlich heiraten zu können. Dazu nette Bilder, die das junge Glück und den freundlichen Umgang mit Nachbarn dokumentieren.

Die Reihe ließe sich fortführen. Für die meisten Artikel gilt: fehlende Fragestellungen, fehlende Kritik, fehlende Vermittlung. Kurz: Es mangelt an konzeptionellen Vorstellungen. Die Für Dich ist ein belangloses, oberflächliches Blatt. Wenn Chefreporterin Christine Zenner über Frauenpolitik in der Bundesrepublik berichtet, dann referiert sie brav die Position der Parteien. Was denkt sie dazu? Wie schätzt sie die Aktivitäten ein? Wie denken die DDR-Kolleginnen über uns?

Und schließlich die Sprache. Das Blatt strotzt nur so von Doktor- und Professorentiteln. Man buckelt nach oben. Möglich, daß den ehemaligen SED-Journalistinnen die Parteihierarchie noch in den Knochen sitzt. Statt einmal zu erwähnen, daß die DDR-Ministerin für Arbeit und Soziales promoviert hat, wird sie in der Reportage mehr als ein halbes Dutzend Mal Dr.Regine Hildebrandt genannt. Und wenn dann auch noch unter den Artikeln Namen und Doktortitel der jeweiligen Autorin steht, wird es vollends lächerlich. Peinlich auch, daß eine Mitarbeiterin fettgedruckt im Vorspann zu ihrem Aritkel als „Für Dich-Reporter“ vorgestellt wird.

Unsolidarisch sei meine Kritik? Ich müsse Geduld haben und den Kolleginnen Fehler und Lernprozesse zugestehen. Immerhin habe sich die Für Dich seit der Wende ganz schön gemausert. Aus der Parteipostille der SED sei eine unabhängige Zeitschrift entstanden. Gemessen an der Hofberichterstattung vor einem Jahr, ist das Blatt lesbarer geworden. Doch eine Zeitschrift, die hier eine Lücke füllt, indem sie uns den DDR-Frauenalltag von innen vermittelt, und das ist immerhin der Anspruch der Redaktion, ist sie nicht. Noch nicht. Ich wünsche mir genauere Informationen und Analysen. Berichte, die Themen nicht nur anreißen, sondern Probleme unter die Lupe nehmen. Und das heißt: Liebe zum Detail, Sensibilität für die verborgenen Seiten, die uns Bundesdeutschen mit unserer Westbrille entgehen. Aber das heißt auch: Mut zur Kritik und Selbstkritik. Bislang ist die Für Dich nicht nur journalistisch dilettantisch gemacht, sondern auch entsetzlich brav, bieder und beliebig.

Vielleicht sollte man sich doch endlich zu einem Personalwechsel in der Redaktion entschließen. Denn von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, wird die Für Dich immer noch von den Frauen gemacht, die schon vor der Wende dafür verantwortlich waren. Und das kann einfach nicht gutgehen.

Foto: Rüdiger Dehnen