: Die Liebe zum Gehorsam hat gesiegt
■ Verordnete Geschlossenheit auf CSU-Parteitag / Die rechte Stimmung wollte nicht aufkommen / Widerwillig doch gehorsam schweigen CSU-Delegierte zu unsicherem DSU-Kurs / Anträge für die „Heimatvertriebenen“ und gegen die Fristenlösung
Von Luitgard Koch
Nürnberg (taz) - Eigentlich sollte es sein wie früher. Der Defiliermarsch ertönt und die CSUler springen wie elektrisiert auf und klatschen begeistert mit, wenn ihr Vorsitzender einzieht. So war es zu Strauß-Zeiten. Doch als diesmal die Conny Kramer Band am Abend des CSU-Parteitages in der Nürnberger Frankenhalle aufspielt, kommt der Beifall anfangs zögerlich - ein Zeichen für die Stimmung in der Partei.
„Die CDU raus aus Sachsen, der Süden der DDR gehört uns“, powert der junge CSU-Delegierte aus der Oberpfälzer CSU -Geschäftsstelle von Entwicklungsminister Jürgen Warnke am Biertisch. „Mit Strauß wär‘ das nicht passiert“, glaubt dann auch sein Tischnachbar, Bürgermeister im grenznahen Naila. Strauß hätte das Ruder rechtzeitig rumgerissen und doch den Schritt aus Bayern heraus gewagt, spekuliert er. Der von CSU -Chef Waigel verordnete Kurs, nur auf die Satellitenpartei DSU zu setzen, schmeckt vielen an der Basis nicht. Besonders jenen Oberpfälzern, die seit langem den vor wenigen Tagen gegründeten CSU-Landesverband Sachsen unterstützen. Auch von einem Antrag der CSU-Delegierten aus dem oberbayerischen Miesbach wird gemunkelt. Die CSU soll sich nach Thüringen und Sachsen ausbreiten, wollen die Oberbayern angeblich beim Plenum aufmüpfig fordern.
„Im Wahljahr 1990 die Parteienlandschaft zu verändern, bedeutet den Sieg der CSU und der Union zu gefährden“. Im Plenum ist es mucksmäuschenstill, als der Chef der CSU -Landtagsfraktion, Alois Glück auf seine moderate Tour den CSUlern nochmal klarlegt, daß eben nix geht mit Ausweitung und ohne DSU. Glück warnt vor Bruderkämpfen und innerparteilichen Streit, wie sie bei SPD und Republikanern an der Tagesordnung seien. „Der Wähler wird uns das nicht honorieren“, droht er in Hinblick auf die Bayerischen Landtagswahlen im Oktober - am selben Tag wird auch in der DDR gewählt - und die gesamtdeutsche Wahl. Gespannte Stille. „Gibt es zu diesem Thema noch weitere Wortmeldungen“, fragt Gerold Tandler, bayerischer Finanzminister, vom Podium herunter. Keiner meldet sich. Ein Aufatmen geht durch den Raum. Und jetzt ist es wie früher. Das CSU-Markenzeichen „Geschlossenheit“ kann weiter verkauft werden. Die Liebe zum Gehorsam hat gesiegt. Außerdem gibt es da einen Bundeskanzler Kohl, der stärker ist. „Der Teufel sitzt in Bonn“, wissen die CSUler inzwischen. Trotzdem verkünden zwei junge Würzburger aus der Schülerunion danach auf dem Gang, etwas unbeholfen, was viele nur noch denken: „Mit der DSU hat man auf's falsche Pferd gesetzt“.
Drinnen verbreitet CSU-Chef Waigel staatsmännischen Glanz. Die CSU werde die nationale und europäische Politik mitgestalten, verspricht er den Delegierten und pocht auf den Führungsanspruch der Schwarzen. „Deutschland wird frei sein oder es wird nicht sein“, vernebelt der bayerische Ministerpräsident, Max Streibl, die Gehirne der CSU -Delegierten. Die fordern dann auch in einem Dringlichkeitsantrag, daß der Bundestag eine offizielle Erklärung über das Leid der Heimatvertriebenen abgibt, als Ausgleich zur „schmerzhaften“ Anerkennung der Oder-Neiße Grenze. Ein Grenzvertrag allein sei zu wenig, bekräftigt Waigel. Einen weiteren Dringlichkeitsantrag gibt es zum Thema Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch. Der Antrag wendet sich gegen eine Übernahme der in der DDR geltenden Fristenregelung in einem Gesamtdeutschland. „Wir halten die Fristenlösung für verfassungswidrig und moralisch nicht vertretbar“, greift Hardliner Edmund Stoiber ein, als der Chef der Bonner CSU-Landesgruppe Wolfgang Bötsch eine „etwas flexiblere Haltung“ zugunsten einer Übergangslösung fordert. „Nix“, schreit auch ein älterer CSUler empört auf. Zuvor hatte die Vorsitzende der CSU-Frauenunion, Ursula Männle, sich als CSU-Alibifrau zu diesem Thema zu Wort gemeldet, „damit die Presse nicht sagen kann, daß bei der CSU die Männer darüber bestimmen“. Den DDR-Frauen hätten die CSUlerinnen erst in langen Gesprächen beibringen müssen, daß menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Samen und Eizelle beginne, entschuldigt sie sich für die DDR -Frauen. Daß der Staat hier zum Schutz des Lebens eingreifen muß, betont auch Streibl. Dagegen ist der Staat seiner Meinung nach nicht gefordert, wenn es darum geht, daß Männer mehr Verantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen sollten. „Da schimmert wieder der sozialistische Adam durch“, wehrt sich Streibl gegen solche staatlichen Eingriffe.
Für einen Sturm im Wasserglas sorgte der CSU-Hardliner, Peter Gauweiler - inzwischen zum Münchner CSU -Bezirksvorsitzenden aufgestiegen. Aufgeregt umringten ihn die Journalisten, nachdem er geschickt einen Tag vor dem Parteitag eine Pressemeldung lancierte, in der er die „Nichteinladung“ des abgehalfterten Verkehrsministers, Eduard Zimmermann, kritisierte. Seine Attacke verriet auch, was der Karrierist von Pressefreiheit hält. Sein Referent Singhammer schrieb keine Pressemitteilung, sondern verfasste gleich eine perfekte, vorgefertigte Meldung für die Nachrichtenagentur zur Weitergabe an die Zeitungen.
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