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„Nicht die letzte Mark dort rausholen“

■ Dr. Helmut Bunge, Geschäftsführer der „Forschungsstelle für den Handel“ in West-Berlin, über die Gründe für die überhöhten Lebensmittelpreise in der DDR

INTERVIEW

taz: Die meistgestellte Frage in der DDR ist derzeit: Wer trägt die Hauptschuld an den hohen Preisen? Wo sehen denn Sie den Schwarzen Peter?

Helmut Bunge: Der Einzelhandel schiebt ihn dem Großhandel zu, was wahrscheinlich zutrifft, denn der Einzelhandel kann nicht selber einkaufen. Und wenn der Großhandel nicht das liefert, was geordert wird, dann können die nicht viel machen. Der Großhandel steckt mit dem Westberliner und westdeutschen Lebensmittel-Einzelhandel und den -Ketten zusammen. Was da nun im einzelnen geschieht - die Antworten werden Sie, wenn überhaupt, nur bei den Unternehmen finden. Wo die Entscheidungen fallen, weiß ich nicht.

Weiß es überhaupt jemand?

Nun, was verabredet wurde, müßte schon jemand wissen. Die Frage ist nur, ob sie es sagen. Ich muß mich vorsichtig ausdrücken, aber ich vermute, daß die westdeutschen Unternehmen eine Chance sehen, erst mal Kaufkraft abzuschöpfen und daß sie nicht von vornherein sagen, wir liefern das billigste Sortiment. Das hängt aber auch damit zusammen, daß die Betriebsform des Discounters, also Aldi, Penny oder Plus, in der DDR noch nicht vorhanden ist. Dort gibt es fast überall gewisse Monopolsituationen - da kommen die Preise nicht so schnell unter Druck.

Kann die von der Volkskammer beschlossene Zerschlagung der HO und der Konsumgenossenschaften - unabhängig von den rechtlichen Fragen - die Lage verbessern?

Was die Volkskammer beschlossen hat, ist möglicherweise ohnehin bis Ende September schon geschehen, weil die HO als eigenständiges Unternehmen nicht überleben kann. Sie braucht Partner. Die Frage ist nur, ob diese breit genug gestreut sind. In der ganzen DDR schon, in Ost-Berlin möglicherweise weniger, weil die HO mit Ausnahme des Stadtbezirks Pankow mit Kaiser's/Tengelmann eine Kooperation eingegangen ist. Was der Volkskammerbeschluß bei rechtskräftigen Verträgen bewirken kann, vermag ich nicht zu sagen. Möglicherweise nichts.

Wer in Ost-Berlin oder in Grenznähe wohnt, kann zum Einkauf in den Westen ausweichen, wer im Landesinnern wohnt, nicht. Dort wird es auch weiter Monopolstellungen geben...

Auch dort werden die Preise nach und nach fallen, wenn auch die extrem günstigen Sonderangebote ausbleiben. Ich bedaure, daß der Handel offenbar meint: „Gekauft wird sowieso, da brauche ich nicht bei bestimmten Artikeln soweit herunter zu gehen, daß ich nichts mehr verdiene.“

Daraus können Sie doch schwerlich dem Handel einen Vorwurf machen?

Ich mache ihm insoweit einen Vorwurf, als ich meine, daß der westdeutsche Handel nicht die letzte Mark, die er da rausholen könnte, auch tatsächlich rausholen sollte. Das ist eine ethische Frage. Ich vermute aber auch, daß es in der DDR eine Bürokratie gibt, die möglicherweise aus Naivität oder aus Berechnung manches nicht so schnell haben will. Die Alten sitzen immer noch da. Es wird verzögert, vielleicht sogar blockiert. Das ist nach Regionen, Kreisen oder Gemeinden ganz unterschiedlich.

Alte Kräfte sabotieren die Währungsunion?

Ehemalige Funktionäre, denen man das ganz deutlich nachsagen könnte, gibt es wahrscheinlich nicht mehr. Die sind entfernt worden. Es gibt aber vielleicht Tendenzen, deren sich manch einer der alten Garde gar nicht so bewußt ist. Der arbeitet wie bisher auch, ohne daß er etwas gezielt verhindern will. Aber das reicht schon. Der andere Punkt sind die Gewerberäume. Für den Lebensmittel-Einzelhandel sind sie fast alle zu klein. Es gibt also auch objektive Hindernisse. Wenn man das alles zusammennimmt, ist es schwer, einen Schuldigen oder eine einzige Ursache zu benennen, warum es schiefläuft. Innerhalb einiger Monate wird sich das aber weitgehend eingespielt haben.

Interview: Dietmar Bartz

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