: Chronist einer bewegten Zeit
■ Wilhelm Lachnit in der Akademie-Galerie im Marstall
Fast unbemerkt eröffnete die Akademie der Künste der DDR im Berliner Marstall eine umfangreiche Ausstellung mit Werken des 1962 gestorbenen Dresdner Malers Wilhelm Lachnit. Den Plan zu dieser Ausstellung hatte sie bereits vor der Revolution gefaßt. Immer unerläßlicher wurde es, nach den Wurzeln einer Kunst zu fragen, deren Repräsentanten die vom Staat scheinheilig ausgestreckte Hand ausschlugen und sich doch nicht in nonkonformistischen Gesten vertaten. Zu Unrecht gehört Wilhelm Lachnit zu den fast vergessenen deutschen Künstlern. Er teilt dieses Schicksal mit vielen der um 1900 geborenen Künstlergeneration, deren Schaffen jäh durch den Faschismus unterbrochen wurde und die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Mühlen der Kunstdiskussion in Ost und West gerieten. Immerwährende materielle Not, politischer und ideologischer Druck und daraus resultierende innere Zerrissenheit und Unsicherheit waren die Folgen. Besonders für Künstler wie Wilhelm Lachnit, die aus einer starken, alternativen Kunsttradition kamen und für die mit dem Sieg über den Faschismus die Hoffnung auf eine Freiheit der Kunst verbunden war. Hilflos stand er der von Dummheit diktierten Kunstfeindlichkeit gegenüber. Jeder vorsichtige Versuch, seine künstlerische Haltung zu verteidigen, erntete in der Öffentlichkeit Hohn und Spott. Das lähmte ihn mehr als die partielle Ablehnung seiner Werke durch reaktionäre Kunstkritk in den 20er und 30er Jahren.
Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, war der 1899 in einem Dresdner Vorort geborene Wilhelm Lachnit besonders in den 20er Jahren anteilnehmender Chronist der Welt, die er kannte. Viele Bilder wurden am 13. Februar 1945 zerstört. Was erhalten blieb, legt Zeugnis von einer eigenständigen künstlerischen Arbeit ab. Die Radierungen der Dresdner Vorortlandschaften gehören ebenso dazu wie die Porträts und Aktdarstellungen von Menschen, mit denen er lebte. Exemplarisch das 1921 entstandene kleine Bild Mutter und Kind, das er im selben Jahr wie Otto Dix schuf. Wer hier wem folgte, ist so klar nicht, denn Lachnit liebte dieses Thema, das er vielfach bis zu seinem Tode variierte. Wo Dix erbarmungslos und bitter wenig Hoffnung läßt, kann Lachnit sein Berührtsein nicht verbergen. Das Mitleiden und „Ja -Sagen zum Leben“ brachte einen neuen Ton in die aggressive Stimmung der Kunst der 20er Jahre, der wegen seiner unumstrittenen künstlerischen Qualitäten nicht überhört wurde. Selbst in den agitatorisch gemeinten, großformatigen und strengen Holzschnitten der 30er Jahre schwingt er mit. Wer brennt, kann Feuer entfachen.
Wilhelm Lachnit war kein Außenseiter. Er war fest in die Dresdner Kunstszene um Otto Dix und Conrad Felixmüller integriert, zu der Hans Grundig, Eugen Hoffmann, Otto Griebel, Curt Querner und viele andere gehörten. Seit seinem Studium an der Dresdner Akademie (1921-23) fehlte er auf keiner wichtigen Ausstellung mehr. 1925 wurde er Mitglied der KPD, war 1929 Mitbegründer der Dresdner Ortsgruppe der ASSO (sozialistischer Künstlerbund in der Weimater Republik), wurde bereits 1928 das erste Mal als Lehrer für die Dresdner Akademie vorgeschlagen und wegen „seines zu geringen Alters“ abgelehnt. 1932 forderten die Studenten ein zweites Mal, Lachnit zum Lehrer zu gewinnen; diesmal bekannte man offen, daß man seine kommunistische Gesinnung an der Schule nicht wollte. Dabei sind seine Arbeiten (ausgenommen die erwähnten Holzschnitte der 30er Jahre) fernab von jeder vorder- oder hintergründigen politischen Agitation oder gar Illustration. Es sind die Bilder eines Künstlers, der aus der Kenntnis proletarischer Not nichts anderes als ja sagen konnte zu der Idee von einer gerechten Welt. Die Zweifel, spürbar auch im Werk, kamen erst nach dem vermeintlichen Sieg.
Die Jahre des Faschismus überstand Lachnit als Ausstellungstechniker und Messegestalter. Bereits 1933 wurde er gemeinsam mit Eugen Hoffmann und Otto Griebel verhaftet und stand nach seiner Freilassung unter ständiger Polizei und Gestapoaufsicht. Dem europäischen Zeitgeist folgend, fand er in seiner Kunst dieser Jahre zu Stoffen aus der antiken Mythologie und biblischen Geschichte, die er metaphorisch mit aktuellem Zeitgeschehen verband. Menschliche Grundsituationen wie Abschied und Trauer, Verzweiflung und Tod, die in den Ereignissen der Zeit eine reale Grundlage hatten, beschäftigten ihn. Kurz vor Kriegsende, im Januar 1945, wurde er noch eingezogen. Heimgekehrt ging er scheinbar ungebrochen an die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit, malte sein großes Bild Der Tod von Dresden. Bereits 1945 warf die Kritik gerade diesem Bild ein „Verbleiben im Formalistischen“ vor. Dennoch war er Jurymitglied und gestaltete Plakat und Katalogumschlag für die hoffnungsvolle „Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung“ 1946, malte im selben Jahre ein Wandfries zur Geschichte der Arbeiterbewegung für den Vereinigungsparteitag in Dresden -Bühlau. 1947 holte ihn der Freund und damalige Rektor Hans Grundig an die wiedereröffnete Dresdner Kunstschule, wo er bis 1953 lehrte. Freiwillig trat er den Rückzug an, als er, nach mehrfachem Wechsel im Rektorat, merkte, daß seine Anschauung von Kunst, die ihre Vorbilder in Cezanne, Matisse, Picasso, de Chirico und Hofer hatte, in nichts übereinstimmte mit dem, was die herrschende Ideologie vorschrieb. Studenten, die bei Lachnit lernten, erhielten ab 1951 kein Stipendium mehr. Protagonisten der „Berliner Schule“ wie Harald Metzkes und Manfred Böttcher gehörten neben anderen (zum Beispiel auch Jürgen Böttcher-Strawalde) zu seinen Schülern. Auf der 3. Deutschen Kunstausstellung 1953 wurden seine Bilder ausjuriert.
In Variete- und Zirkusszenen, einsamen Clownsköpfen und Büsten suchte Lachnit seit 1948 seine Rolle als Künstler ironisch und wehmütig zu erfassen. 1955 entbrannte um seine Supraporten für ein Dresdner Studentenwohnheim noch einmal ein heftiger Formalismusstreit. Entlarvend in seiner Bösartigkeit und Lächerlichkeit und dokumentiert im Katalog zur Ausstellung.
Nach seinem Abschied von der Dresdner Kunsthochschule fand Lachnit 1953 zu einem Freundeskreis von Angestellten der Denkmalpflege, der „Kleinen Akademie“, in dem künstlerisch gearbeitet wurde. Die Bilder der Nachkriegsjahre sind schwerblütig, „mit dem wunderbaren Sinn für die Farbe in Erfindungen gipfelnd, die manchmal schon nicht auf dieser Welt waren“, wie der Freund Hans Theo Richter unmittelbar nach Lachnits Tod schrieb. Eine Italienreise, 1956 gemeinsam mit Karl Kröner unternommen, brachte noch einmal Licht in die Malerei, bevor zunehmend „Bedrohungsblätter“ entstanden.
Von den Künstlerfreunden geliebt und von der Gesellschaft ins Abseits gedrängt, lebte Lachnit immer mehr vereinsamt und in materieller Not. Auch der große Kreis von Freunden und Bekannten kann darüber nicht hinwegtäuschen. Am 14. November 1962 starb Lachnit nach seinem dritten Herzinfarkt. Er war zwei Tage vorher 63 Jahre alt geworden und am Tag davor in ein ersehntes neues Atelier gezogen.
Kathleen Krenzlin
Die Ausstellung ist bis zum 19. August Mi. bis So. von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Akademie-Galerie im Marstall, Marx -Engels-Platz 7, Berlin 1020; Katalog (120 Seiten): 20 DM.
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