: DIE HEIZER
VON MATHIAS BRÖCKERS
Was das Ende des Sozialismus betrifft, ist in der schreibenden Zunft wieder einmal Kleinhirn Küchenmeister: mit dem Papierberg der Rückblicke, Essays, Reportagen über den Niedergang der „Kommandowirtschaft“ ließe sich der halbe Thüringer Wald wieder aufforsten - über die logische Konsequenz, das drohende Ende des Kapitalismus, findet sich keine Zeile.
Um die Logik zu verstehen, muß man nicht Carl Schmitt bemühen - ohne äußeren Feind keine innere Stabilität - zwei Worte, von der Konferenz der sieben top-kapitalistischen Staaten in Houston, reichen schon: das Weiße Haus, der Hort des Kapitalismus schlechthin, kanzelte den Vorschlag, die Kohlendioxid-Emissionen künftig etwas zu reduzieren, als „ökonomischen Suizidversuch“ ab.
Übersetzt heißt das: um unser ökonomisches System, den Kapitalismus, am Laufen zu halten, müssen wir das Treibhaus Erde leider weiter anheizen. Nun weiß mittlerweile jedes Kind, daß nicht nur immer mehr Sonne durchs Ozonloch scheint, sondern unsere Abgase eine zusätzliche Hitzeglocke bilden, und daß man dagegen was tun muß, weil sonst das Land verödet, die Pole schmelzen, der Meerespiegel steigt. Und die sieben weisen Kapitalisten sitzen da und sagen, daß man nichts dagegen tun kann, weil sonst „die Wirtschaft“ verödet, die „Renditen“ schmelzen, und die „Arbeitslosigkeit“ steigt - kein Zweifel: diese Herrschaften sind offensichtlich am Ende. Hallo Leute, aufwachen, dies ist kein Klartraum, sondern Wirklichkeit: Unsere Wirtschaftsführer haben auf der Konferenz in Houston den Sieg des Kapitalismus gefeiert und beschlossen, lieber den Planeten zu verheizen als auch nur ein Komma an ihrem Heiz -System zu verändern.
„In einem Zeitrahmen von 1065 Jahren verhält sich jedes Felsstück wie eine Flüssigkeit und nimmt unter dem Einfluß der Gravitation Kugelform an. Seine Atome und Moleküle werden endlos damit fortfahren, wie die Moleküle in einem Tropfen Wasser herumzuschwirren.“ (Freman Dyson: Zeit ohne Ende, Berlin 1989). Auf den Rahmen kommt es an, auf das Maß, im extremen Zeitraffer kann ein Granitmassiv zum Bad einladen, nur daß dann niemand mehr da ist, der noch baden könnte. Die Menschen hatten einigem widerstanden, der Versuchung des Kohlenstoffs waren sie erlegen: vor der Industriellen Revolution wehte 160.000 Jahre lang zwischen dem Stick- und Sauerstoff der Erdatmosphäre ein konstanter Hauch von Kohlendioxid - exakt 0,028 Prozent - und sorgte für genau die Temperatur, die der Entwicklung des homo sapiens dienlich war. Auf dem Mars, wo es völlig fehlt, herrscht Dauerfrost, auf der Venus, wo es dominiert, 350 Grad Hitze - das CO2 ist so etwas wie das Zünglein an der Klimawaage. In den letzten 100 Jahren, seit auf der Erde in großem Maß fossile Brennstoffe verheizt werden, ist der Kohlendioxid-Gehalt auf 0,035 Prozent gestiegen, aktuell nimmt sein Anteil an der Erdatmosphäre um jährlich 0,0015 Prozent zu. Ein läppischer Betrag, könnte man meinen - aber nur, wenn man die Ewigkeit der letzten 160.000 Jahre, in der der C02-Anteil konstant war, nicht berücksichtigt. Legen wir diesen Zeitrahmen an, werden auf der Erde nahezu augenblicklich knusprige Venus-Temperaturen herrschen. Die globale Durchschnittstemperatur soll nach den Voraussagen der Klimaforscher in den nächsten zehn Jahren um 0,8 Grad Celsius ansteigen - eine lächerliche Erwärmung, die uns hier im Norden gerade recht zu kommen scheint. Doch wir müssen nicht einmal die Ewigkeitslatte anlegen: in 200 Jahren hat sich die Erdtemperatur verdoppelt - optimistisch gerechnet, denn der CO2-Ausstoß steigt nicht einfach, sondern exponentiell. Das heißt, schon 2070 - unsere Kleinsten werdens noch erleben - sind in Berlin Sommertemperaturen von 60 Grad zu gewärtigen. Der Meeresspiegel wird dann um 90 Zentimeter gestiegen - „Aber das geht mir ja gerade bis zum Bauchnabel“ -, halb Holland und einiges mehr verschwunden sein.
Die Rede vom „Treibhauseffekt“ ist leicht irreführend: die Erde i s t Treibhaus, nur eben eines, das seit Ewigkeiten wohltemperiert ist. Erst in den letzten fünf Sekunden hat sich eine Wirtschafts- und Lebensform entwickelt, die diese geniale Steuerung völlig durcheinanderbringt - das Treibhaus mutiert zum Mikrowellenherd. Es hat sich gezeigt, daß das Marxsche Projekt - mit dem Kapital in den Händen des Proletariats die Produktivkräfte zu entfesseln, „bis alles Stehende und Ständische verdampft“ (Komm. Manifest) - vom Kapital besser erledigt werden kann. Und so steht es dicke da, mit Champagner in Houston auf den „historischen Sieg der Demokratie“ anstoßend, ohne Ahnung, daß das Projekt längst in die Hose gegangen ist. Oder doch schon mit einer geheimen Ahnung und Angst - wer so im Treibhaus sitzt, kann nur noch Parties schmeißen... Daß es auch ohne Menschen weitergeht, daß noch die Steine herumschwirren werden wie „Moleküle in einem Tropfen Wasser“, hat letztlich dann doch etwas sehr Tröstliches. WER IM TREIBHAUS SITZT, SOLL KEINE PARTIES SCHMEISSEN
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