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Der Süssmuth-Effekt - oder: Quereinsteigerinnen gesucht

■ Mit Regina Görner, CDU, ist eine neue, unkonventionelle Frau im DGB-Bundesvorstand / Von ihrer ehemaligen Chefin Rita Süssmuth hat sie vieles gelernt

Von Elisabeth Kiderlen

Ist der Süssmuth-Effekt wiederholbar, gibt es ein Rezept für einen neuen Typus erfolgreicher Politikerinnen? Man wird sehen - mögliche Kandidatin für eine ähnlich unkonventionelle Karriere wie die der ersten bundesrepublikanischen Frauenministerin könnte Regina Görner werden, vor einigen Wochen überraschend in den DGB -Bundesvorstand gewählt. Eine Quereinsteigerin mit den bekannten Vorzügen der direkten, unverbogenen Rede und den noch vorhandenen, durch keine „Ochsentour“ abgeschliffenen Kanten und Eigenwilligkeiten.

Konkrete Gewerkschaftserfahrungen hat das langjährige Vorstandsmitglied der christlichen Sozialausschüsse kaum. Ihre überraschende Kandidatur auf dem Gewerkschaftskongreß in Hamburg wurde so auch mit einiger Aufregung und ziemlichem Mißtrauen zur Kenntnis genommen. Doch dann gewann die 39jährige ehemalige persönliche Referentin von Rita Süssmuth 76 Prozent aller Delegiertenstimmen (und damit weit mehr als der neue DGB-Vorsitzende H.W. Meyer) mit ihrer klugen Vorstellungsrede, in der sie sich den skeptischen Delegierten als innovative und frauenpolitisch engagierte Kraft präsentierte. Dabei hat sie es gemacht wie ihre ehemalige Chefin, sie hat das Manuskript für eine Weile beiseite gelegt und ist auf die Stimmung im Saal eingegangen.

Das Wichtigste, was sie von Rita Süssmuth gelernt habe, sei, „immer zuhören, was die Leute unmittelbar denken, und sich nicht darauf zu verlassen, was einem die Apparate filtern“. Das erste halbe Jahr der Zusammenarbeit zwischen der ehemaligen Ministerin und ihrer Referentin bestand schließlich in der Hauptsache aus Vorträgen, Gesprächen, Reden. „Der Vorteil dieser endlosen Außentermine war, daß Rita Süssmuth im Gegensatz zu vielen Politikern zumindest wußte, was die Leute wirklich bewegt. Sie verschwand ja nicht gleich nach ihren Reden, sondern blieb und diskutierte. Dieses öffentliche Auftreten hat letztendlich viel bewirkt. Diese Erfahrungen können Regina Görner durchaus zugute kommen, denn der DGB-Vorstand hat eher eine koordinierende, verlautbarende, ideelle Rolle denn handfeste Macht. Die liegt bei den Einzelgewerkschaften.

Es wurde händeringend nach einer Frau gesucht

1968 ist Regina Görner in die CDU eingetreten, eher aus Zufall, wie sie sagt. Freunde hatten die damals 18jährige Essenerin angesprochen. Und da sie sich als Christlich -Soziale verstand, ist sie auch bald bei der Christlich -Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) gelandet. Sie wollte Lehrerin werden, hat Geschichte und Sozialwissenschaft studiert, auch Pädagogik. Letzteres - wie der Zufall es wollte - bei der Professorin Süssmuth. Später machte sie das Referendariat, hatte dann mehrere befristete Stellen an der Universität, bis die frisch gekürte Ministerin für Familie, Gesundheit und Jugend sie 1985 nach Bonn holte. Eine Übergangstätigkeit, wie sie sagt. Die ÖTV richtete für sie 1989 in Hessen eine neu zusammengeschneiderte Stelle ein, und dann ging es schneller als gedacht nach oben. „Nach dem Ausscheiden von zwei CDU -Mitgliedern aus dem DGB-Vorstand wurde händeringend nach einer Frau gesucht, und dann fiel irgendwann einmal mein Name.“

Eine unübliche Biographie für eine Gewerkschafterin und dennoch typisch für die eines wachsenden Teils der heutigen Berufstätigen, die nicht mehr aus dem traditionellen Arbeitermilieu kommen und deren Lebenslauf durch befristete Arbeitsverträge, Berufswechsel, Teilzeitarbeit, drohende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. Gerade diese Gruppe, mit der die Gewerkschaft lange Zeit gar nichts anfangen konnte, muß - so Regina Görner - unbedingt in die Gewerkschaft hineingeholt werden, will die Organisation die Zeichen der Zeit nicht verschlafen.

Regina Görner will sich ebenso der Teilzeitarbeit und ihrer gewerkschaftlichen Absicherung und Interessenvertretung annehmen. Teilzeit, Flexibilisierung der Arbeit, Anpassung der Arbeitswelt an die vielfältigen und wechselnden Bedürfnisse der Menschen, das sind Themen, die bislang nicht gerade zu den Favoriten der Gewerkschaften gezählt haben, im Gegenteil. Aber auch das Beschäftigungsförderungsgesetz aus dem Hause Blüm, das den befristeten, ungesicherten Arbeitsverhältnissen den staatlichen Segen verschafft hat, nennt sie - wie die sozaldemokratischen Gewerkschafter auch

-einen „Skandal“: „Wir CDA-Frauen werden nicht locker lassen, bis es beseitigt ist.“

Zur aktuellen Frage des § 218 gibt sie sich juristisch bedeckt und sozial grundsätzlich: „Ich bin nicht der Auffassung, daß man das Problem mit irgendwelchen rechtlichen Regelungen in den Griff bekommt. Solange es Frauen nicht möglich ist, sich für ihre Kinder zu entscheiden, ohne damit rechnen zu müssen, beruflich völlig aus dem Gleis zu fallen oder andere unzumutbare Benachteiligungen hinnehmen zu müssen, werden wir mit dem Problem immer zu tun haben, ganz egal, wie die rechtliche Regelung aussieht.“ Sie sieht keine Eile in der Anpassung der BRD-DDR-Gesetze zum § 218, weil da „zwei Systeme zueinander finden müssen, in denen ganz unterschiedliche Bewußtseinsstrukturen vorhanden sind“.

Ein Denken

jenseits der Blöcke

CDAler in der Gewerkschaft, was bringen die ein? Das der katholischen Soziallehre entnommene Subsidiaritätsprinzip (was eine kleine Einheit tun kann, muß nicht der Staat tun) hat den Vorteil, daß - zumindest vom Grundsatz her Initiativen, Selbsthilfegruppen etc. als unterstützens- und förderungswert betrachtet werden, nicht als bloße Störenfriede der großen Tarifparteien und sozialen Apparate. Aus der CDA kommen zur Zeit eher Anregungen zur Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit und zum innovativen Umgang mit den sozialen Fragen als aus dem traditionellen Apparat. Auch gibt es in der CDA - als erster christdemokratischer Gruppierung - seit letztem Sommer eine Frauenquote. Man könnte auch sagen: Die CDA ist oft schneller im Aufgreifen grüner oder alternativer Ideen als die Sozialdemokraten. Dieses Denken in kleinen Einheiten im Gegensatz zu dem Denken ausschließlich in den großen gesellschaftlichen Blöcken könnte gerade der gewerkschaftlichen Arbeit in der heutigen DDR zugute kommen. Kommunale Strukturpolitik, die Unterstützung von Selbsthilfeinitiativen, die Einführung einer Mindestrente werden nötig werden. In der Förderung dieser Momente könnten die CDA und ihre zwei neuen Vertreter im DGB-Vorstand eine wichtige Rolle spielen.

CDA und CDU-Frauenunion arbeiten seit längerem zusammen vielleicht entsteht, nach der Niederlage der Crew um Geissler und Rita Süssmuth, aus diesen Gruppierungen eine neue CDU-Reformerriege, deren Einfluß auch über den DGB verläuft. Nach einem möglichen Wahlsieg Kohls werden innovative Ideen in der Sozialpolitik dringend gebraucht werden.

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