: Gestritten haben wir immer
■ Ein Gespräch mit der Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna-Weiss, Witwe des Schriftstellers Peter Weiss
taz: „Seit langem zum ersten Mal wieder das Gefühl, die schwedische Enge verlassen zu haben, Offenheit zu atmen“, schreibt Peter Weiss in seinen Notizbüchern zu einer Reise nach Madrid. Hat er denn Schweden, sein Exilland, immer als etwas Beengendes, Bedrückendes empfunden?
Gunilla Palmstierna-Weiss: Das ist sehr kompliziert. Sicherlich ist es beengend gewesen, aber das betrifft ja nicht nur den Peter. Man muß ja auch wissen, wie Schweden war vor dem Krieg und in den vierziger bis in die fünfziger Jahre hinein. Schweden war ja nicht sehr auf das Internationale eingestellt. Und als Emigrant hierher zu kommen, das kann nicht einfach gewesen sein. Natürlich haben sehr viele Emigranten darunter gelitten, politisch und auch persönlich. Was man nicht vergessen darf, ist, daß auch eine Reihe schwedischer Künstler und Schriftsteller litt unter dieser Enge. Maler wie Hill und Josephson sind verrückt geworden. Und man kann ja auch nicht sagen, daß Strindberg ein einfaches Leben gehabt hätte. Aber das kann man natürlich nie einem Emigranten erzählen.
Ich habe das mal so beschrieben: Peter lebte in Schweden und konnte hier arbeiten, da hier irgendwo auch diese Ruhe die Voraussetzung für seine Arbeit geschaffen hat. Und er fuhr ins Ausland, um die Turbulenz zu erleben. Und immer ist er dann erschöpft nach Hause gekommen und hat geschrieben. Als er dann wieder völlig leer war, ist er erneut hinaus in die Turbulenz. Er hat also mit einem Fuß in der Turbulenz gelebt und mit einem Fuß in der Beschränkung. Und ich glaube, daß ist sehr befruchtend gewesen.
Wie hat denn diese Enge in Schweden konkret ausgesehen, war das politische Enge, Kleingeisterei? Er hat ja beispielsweise versucht, als Maler Fuß zu fassen. Und es war nicht mangelndes Talent, an dem er scheiterte.
Laß uns mit der Malerei anfangen. Als Peter nach Schweden kam, als junger Mensch, als Maler, da war er ein Außenstehender. Seine Impulse in der Malerei waren zentral -europäisch. In Schweden war man überhaupt nicht interessiert an diesen Strömungen und Surrealismus hat man nur als eine Kinderei betrachtet. Es gab damals eine kleine surrealistische Gruppe, eine Handvoll Leute, die haben an ihn gelaubt, sonst hätte er nicht überlebt. 1944 hat die Gruppe, die sich „Baracke“ nannte, eine Ausstellung in Stockholm gemacht. Das waren etwa 20 ausländische Maler, die diese „Baracke“ aufgebaut haben. Und die kamen nicht nur von Zentral- und Osteuropa, da waren auch Dänen dabei. Die hier auch nicht akzeptiert waren als Maler. Für die meisten wurde die Ausstellung allerdings ein Erfolg. Bei Peter fing es eigentlich an, langsam abzuklingen. Er fing ja an, schwedisch zu schreiben.
Er hatte sich ja sehr schnell sprachlich assimiliert und da es nicht so fabelhaft ging mit der Malerei fing er an, zu illustrieren und zu schreiben. Er hat damals drei Bücher auf schwedisch herausgebracht.
Aber du hast generell nach der Enge gefragt, nach der Beschränktheit. Das ist natürlich irgendwo auch ein bißchen ein Mythos. Ich habe ja auch einige Kritiken gelesen über den Peter in Schweden. Und einige sind sehr gut. Es hat auch mit seiner eigenen Ambivalenz zu tun, nicht akzeptiert zu sein. Die Emigration ist für den Peter auch eine Beschäftigung gewesen, ich bin ein Außenstehender. Er war schon in sich selber einer, der nicht drin sein wollte.
Und Peter war ja nicht „nur“ Emigrant. Sein Leben war ja komplizierter. Er hat immer, wenn er etwas geleistet hatte, wenn er erfolgreich war, es bei der nächsten Arbeit total umgekehrt gemacht. Wir können das auch später sehen, als er diesen Riesen-Erfolg mit Marat hatte. Er war ja ein zurückgezogener Emigrant, der in Deutschland durch Marat vollkommen akzeptiert war. Was macht er also? Er schreibt sein Auschwitz, er gibt also den Leuten eine Ohrfeige. Ich persönlich finde das richtig, was er gemacht hat. Aber populär ist er dadurch natürlich nicht geworden.
Zu Biermann hat Peter Weiss gesagt, daß kreative Arbeit nie unter günstigen Bedingungen entstehen kann. Kann man daraus schließen, daß Peter Weiss und Schweden einander bedingt haben? Wäre er denn jemals so kreativ gewesen ohne diese scheinbar ungünstigen Bedingungen für ihn in Schweden?
Ja und nein. Zuerst muß ich nochmal auf das Schreiben kommen. Er hat auf schwedisch geschrieben, das ging nicht. Dann fing er an, Filme zu machen. 1959, als das mit Filme machen, Artikel schreiben, Malerei, auf schwedisch schreiben - als all das nicht mehr ging, da war er eigentlich fertig, wollte alles aufgeben. Glücklicherweise hat er immer, seitdem er hier nach Schweden kam, nebenbei auf deutsch geschrieben. Um die deutsche Sprache zu behalten, als Werkzeug. Er wollte ja eigentlich diesen deutschsprachigen Hintergrund völlig verneinen. Aber dann hat er aus Verzweiflung ein Manuskript - Der Schatten des Körpers des Kutschers - weggeschickt. Und das hat dann Höllerer in Berlin angenommen, in 'Akzente‘ abgedruckt und da hat man ihn eingeladen zur „Gruppe 47“. Mit demKörper des Kutschers ist eine neue Wende gekommen. Ich glaube, sein ganzer Erfolg basiert auf dieser Spannungsbeziehung Deutschland-Schweden. Und was auch wichtig war. Seine Eltern sind 1959 beide sehr schnell hintereinander gestorben und er konnte seine Kindheitserinnerungen herausgeben. Es ist nicht autobiographisch, wie alle glauben, es ist mehr. Und das ist Abschied von den Eltern und dann später Fluchtpunkt. Ich glaube, da sind viele Sachen zusammengekommen. Intellektueller Erfolg mit Körper des Kutschers, die Möglichkeit wegzugehen, die Eltern gestorben, die Wiederentdeckung der deutschen Sprache. Und ich bin überzeugt, viele Künstler werden getötet, wenn sie nicht mehr schreiben, nicht mehr malen können, wenn sie alles nur noch für die Schublade tun. Und in Schweden 1959 arbeitete Peter Weiss nur noch für die Schublade. Und die Neu-Entdeckung, die Politisierung, die ist ja sehr spät gekommen. Er würde jetzt sehr wütend, wenn er das hören würde.
Wann kam die Politisierung?
Ich komme aus einer sehr politischen Familie und ich habe den Krieg im Ausland erlebt. Ich war sehr erstaunt, daß dieser Emigrant, den ich 1952 traf, sich eigentlich viel mehr für Psychoanalyse, für seine innere Geschichte interessierte. Das Interessante ist, daß seine Politisierung kam, als er anerkannt war. Dann konnte er dieses psychoanalytische, surrealistische und soziale innere Leben beseite legen und dann hat er als Künstler plötzlich entdeckt, es existiert eine andere Welt, nicht nur die in mir, sondern auch eine außerhalb. Und Marat ist meiner Meinung nach von Anfang an intuitiv geschrieben, deshalb ist das Stück ja auch so fabelhaft gut.
Hat er denn je darüber nachgedacht, aus Schweden weggzugehen, hat er sich vorstellen können, hier alt zu werden?
Das ist eine Sache, mit der ich leben muß. So lang ich den Peter gekannt habe, hat er gesagt „Wir müssen weg“. Wir haben sicher, ich weiß nicht wie oft, aber mindestens fünfmal eine Wohnung in Paris gehabt, und als wir da waren, nein, ich muß wieder zurück nach Schweden. In Berlin hatten wir sicher siebenmal eine Wohnung und dann wieder, „Nein, ich muß zurück nach Schweden, ich halte das hier nicht aus“. In New York waren wir zweimal, in London, in Frankfurt. Ich weiß nicht, wieviel Wohnungen wir hatten. Wir haben immer gesucht, gelebt, gewohnt und wieder aufgegeben. Er mußte immer wieder zurück in sein Zimmer hier in Schweden. Und das ist so, Peter konnte nur arbeiten, wenn es völlig still war, wo er seine Bücher hatte und die Einsamkeit zum Schreiben. Aber das Bedürfnis wegzugehen, das ist immer da gewesen.
Ihr habt beide oft zusammengearbeitet, beispielwesie beim Marat. Wäre das auch in einem anderen Land, beispielsweise der Bundesrepublik, möglich gewesen?
Es wäre in der BRD nicht mögich gewesen und man hat unsere Zusammenarbeit dort auch oft ganz falsch verstanden. Ich erinnere mich, als wir Marat gemacht haben am Schiller -Theater in Berlin. Wir haben das ja nicht gemacht, weil ich seine Frau war, sondern wir haben das gemacht, weil wir beide berufstätig waren. Und das Schiller-Theater hat erst mal das ganze Bühnenbild und Kostüme und alles unter den Namen von Peter geschrieben und das Gehalt voll an ihn ausgezahlt. Bis ich einen Riesenkrach gemacht habe. Im ersten Programmheft steht „Bühnenbild Peter Weiss“, im zweiten steht „Kostüme Gunilla Palmstierna-Weiss“. Man hat es einfach nicht verstanden, daß es eine Zusammenarbeit war. Und das gleiche war in unserer politischen Arbeit. Einmal habe ich dem Peter gesagt, Du, ich halte zuerst meinen Vortrag und dann kommst Du und sagst exakt dasselbe. Dann wirst Du was erleben. Na, ich habe dann meine Sachen gesagt und man war nicht sehr interessiert. Dann kam der Peter und hat genau dasselbe gesagt und die Reaktion war „Ach, Herr Weiss, wie interessant“. Und ich glaube, das sagt sehr viel, wie die Emanzipation in der BRD ist. Die sind noch nicht so weit, aber sie kommen schon noch dahin. Und deshalb sind die Frauen da viel aggressiver. Mit Recht.
Hat sich diese Erfahrung von Emanzipation auch auf die Privatsphäre übertragen?
Nein, das würde ich nicht sagen. Aber ich finde, man muß ein bißchen großzügig sein. Der Peter ist vom Nullpunkt mit dieser Erziehung von seinen Eltern gekommen und hat es trotzdem ziemlich weit gebracht. Ich meine, sich als Mann zu ändern. Man kann auch nicht verlangen, daß es bis zum Endpunkt kommt. Da kann man nicht mit jemandem leben. Aber gestritten haben wir immer, jeden Tag.
Die Fragen stellte Gisela Pettersson im November 1989 in Stockholm
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