: „Geschichte noch nicht gelaufen“
■ Prof.Horst Ehmke, stellvertretender Vorsitzender und außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zum SPD-Wahlkampf nach Kohls Erfolg
INTERVIEW
taz: Sie haben die Fernsehbilder mit Kohl neben Gorbatschow gesehen. Hat Ihnen dabei das Herz geblutet?
Ehmke: Überhaupt nicht. Ich brauche nur daran zu denken, mit welcher Erbitterung die Union die Ostpolitik Willy Brandts bekämpft hat. Die CDU/CSU hat nicht nur den Warschauer Vertrag abgelehnt, sondern sie war eine von drei Parteien, die sogar die Schlußakte von Helsinki abgelehnt hat - allein neben den albanischen Kommunisten und den italienischen Neofaschisten. Und wenn ich an deren Angriffe wegen unserer Normalisierungspolitik mit der UdSSR - für die Union das Reich des Bösen - sowie an den Gorbatschow-Goebbels -Vergleich von Kohl denke, dann kann ich nur sagen: Endlich ist die CDU jetzt auf dem Boden der SPD-Außenpolitik gelandet. Unsere Politik war richtig, hat sich jetzt durchgesetzt und wird von einer breiten Mehrheit getragen.
Können die Sozialdemokraten mit dieser Argumentation in den Wahlkampf gehen? Als Kohl im Kaukasus triumphierte, beklagte Lafontaine das Steigen der Hypothekenzinsen.
Das Thema kommt, die Geschichte ist doch noch nicht vorbei. Schon heute zeigt es sich etwa in der vor einer Katastrophe stehenden DDR-Landwirtschaft, es zeigt sich bei den von Schließung bedrohten Betrieben, in steigenden Zinsen, in steigenden Mieten - beides auch für die Bundesbürger -, in steigenden Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen. Alle unsere Warnungen gegen eine so schnelle und schlagartige Einführung der D-Mark waren also richtig. Wir werden im Herbst sehen, wohin das noch führt. Die sozialen Kosten in der DDR und die finanziellen Kosten bei uns werden um ein Mehrfaches höher sein, als die Bundesregierung angibt. Die will den Leuten im Wahlkampf kein reines Wasser einschenken. Die Steuererhöhungen kommen nach dem Wahlkampf.
Dennoch entsteht der Eindruck, Kohl betreibe Weltpolitik und Lafontaine kleinkrämerische Schwarzmalerei.
Da verlasse ich mich auf das gesunde Urteil der Wähler.
Für die wird die CDU den Einheitserfolg mit der Person des Kanzlers verknüpfen.
Die CDU vernachlässigt, ähnlich den Verhältnissen bei der Gründung des ersten deutschen Nationalstaates, die Aspekte der inneren Einheit und setzt alles auf die äußere Einheit. Daran ist das Bismarck-Reich gescheitert. Das kann auch mit dem neuen vereinten Deutschland passieren. Noch ist die neue deutsche Demokratie nicht auf festen Beinen. Kohl hat sich ja immerhin, nach dem Verlust der Bundesratsmehrheit, abgeschminkt, Bismarck nachäffend die Sozialdemokraten zu Reichfeinden zu erklären.
Kohl als Kanzler der Einheit kann aufs Gefühl setzen, Sie müssen differenziert und rationell argumentieren.
Die Leute in der DDR wissen genau, daß die Geschichte noch nicht gelaufen ist. Und sie wissen auch um das Verdienst der SPD, daß es nicht noch schlimmer gekommen ist als bisher.
Wenn das so ist: Wie erklären Sie sich das schlechte Abschneiden der SPD noch bei den DDR-Wahlen im Mai, als die Probleme sich klar abzeichneten?
Wir kämpfen doch drüben gegen den alten SED-Block. Dazu gehört die PDS, die an ihrem mit stalinistischen Methoden ergaunerten Milliardenvermögen festhält, und auch die Ost -CDU, die 40 Jahre lang jede Schweinerei des SED-Regimes mitgemacht hat - einschließlich des Schießbefehls. Die stehen drüben aber als intakter Apparat zur Verfügung, wie auch die LDPD und die Bauernpartei. Alle waren sie von der SED gemästet und halten sich einen Apparat. Die Sozialdemokraten hingegen waren von den Kommunisten unterdrückt und mußten völlig von vorne anfangen. Diese Ungleichheit besteht heute noch, aber sie wird ein Wahlkampfthema sein.
Wie wollen Sie den Nachteil ausgleichen?
Durch größeren Einsatz der West-SPD. Und wir werden darauf pochen, daß diese aus stalinistischer Zeit bestehende Ungleichheit beseitigt wird.
Interview: Axel Kintzinger
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