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Beredtes Schweigen

■ Scolas „Wie spät ist es?“ - eine raffinierte Stilübung

Che ora e ist zunächst eine Stilübung: er erzählt von der Begegnung eines Vaters (Marcello Mastroianni) mit seinem Sohn (Massimo Troisi), die nur einen Nachmittag lang dauert und im Kino doch abendfüllend sein soll. Eine tour de force, eine erzählerische Herausforderung: ein Dialogfilm über zwei Menschen, die sich allem Anschein nach ein Leben lang nichts zu sagen hatten, ein geschwätziger Film, an dessen Ende die beiden Protagonisten resümieren müssen: „Aber heute haben wir doch miteinander geredet.“ - „Nein, das war nur ein Wortschwall, um uns nichts sagen zu müssen.“ Und dennoch besteht Scolas Film auf dem Gespräch als der bewährten Form menschlicher Kommunikation; auch das eingängige Motiv der Partitur Armando Trovaiolis, bei dem ein Instrument dem anderen bald verhalten, bald emphatisch antwortet, beharrt darauf.

Che ora e ist indessen weit mehr als eine tour de force. In der Komprimierung der Zeit wird jedes Wort, jede Geste wichtig. Und die Zeit drängt für Micheles Vater. Der Sohn mochte sein Alter bei der Begrüßung noch schmeichlerischer mit „dreimal zwanzig“ statt „sechzig“ Jahren beziffert haben. Doch wenig später entdeckt Scola ihm (und uns) in unbarmherzigen Detailaufnahmen, wie tief sich die Jahre in dessen Gesicht eingegraben haben. Er selbst bezeichnet seine Versuche, den Sohn in aller Eile kennenzulernen und nachzuholen, was er jahrelang versäumte, gegenüber Loredana (Anne Parillaud), der Freundin Micheles, als lächerlich. Der alte Mann vergleicht sich mit „gewissen Studenten, die nie etwas tun, und dann, kurz vor der Prüfung...“

Der Kampf des Vaters um die Aufmerksamkeit und Zuneigung des Sohnes ist ein Kampf mit ungleichen Waffen. Der verschlossene Michele gibt nur widerwillig Dinge über sich, sein jetziges Leben preis. Mit teuren Geschenken überhäuft zu werden, bringt ihn eher in Verlegenheit, als daß es ihn freut. Die Versuche des Vaters sind mal hilflos, mal pathetisch, durchaus auch anmaßend und unverschämt, wie etwa in der brillanten Szene - brillant, weil es Mastroianni selbst in dieser Szene gelingt, die Symphatie für seine Figur zu halten -, in der er Loredana verhört und schließlich herausbekommen will, ob sein Sohn denn auch ein guter Liebhaber sei.

Scola läßt die Entwicklung dieser Beziehung in der Schwebe, in einem heiklen Remis: jeder Moment der Nähe kann vom nächsten Augenblick schon wieder in Frage gestellt werden.

Luciano Tovolis Kamera gehorcht diesem Rhythmus von Nähe und Distanz. Die Auswahl der Einstellungsgrößen, die überraschende Verwendung der subjektiven Kamera folgt dem Wechselspiel von Identifikation und Beobachtung. Fenster und Glastüren trennen die beiden Protagonisten immer wieder voneinander, und auch die Kamera distanziert den Zuschauer mitunter von ihnen, in dem sie sie durch Glasscheiben hindurch aufnimmt. Die verstörenden Zwischenschnitte - auf eine sich schminkende Frau am Nebentisch, auf einen Kellner, der vor dem Spiegel das Lächeln übt - beherzigen genau das Prinzip der Distanzierung, indem sie das Ambiente gegenüber den beiden Gesprächspartnern bevorzugen.

Wenn Mastroianni ein Teenager an der Jukebox ins Auge fällt, wenn er und Troisi dem Gespräch zweier Beamter am Nebentisch lauschen, dannmarkiert dies aber auch die betretenen Gesprächspausen, in denen ihre Aufmerksamkeit sich verflüchtigt.

Scola vertraut dem Konflikt zwischen dem ehemals übermächtigen Vater und dem inzwischen selbständig gewordenen Sohn (der ja nicht eigentlich originell und tragend ist) nicht so sehr, daß er ihn bis in seine psychologischen Tiefe erforschen wollte. Er geht ihn mit leichter Hand an und versagt sich die große kathartische Auseinandersetzung der Kontrahenten.

Erinnern wir uns, daß auch Bertrand Tavernier ein luftiger, undramatischer Sonntag auf dem Lande genügte, um die Abgründe auszuloten, die Väter von ihren Kindern trennen können. Die Neugier und das beständige Interesse des Zuschauers an den Hauptfiguren verdanken sich der erzählerischen Raffinesse Scolas, der alle Modulationen und Nuancen der Beziehung durchspielt, ohne etwas zu glätten oder zu bereinigen.

Der Film endet auf einer Note melancholischen Einverständnisses: mit dem Schweigen.

Gerhard Midding

Ettore Scola: Wie spät ist es? Mit Marcello Mastroianni, Massimo Troisi und Anne Parillaud, Italien / Frankreich 1989, 102 Min.

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