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Destillate aus Lebensbrühe

■ „Die furchtbaren Apfelkerne der Wirklichkeit“: Erster Prevert-Abend im Packhaus

„Entrez!“ Helle Stimme. Mezzo, nicht? „Entrrrez!“ Ah, ja, oui. O dieses Franzäs! Wir also rein. Ha, da sitzt er schon. Von Seidenweiß umflossen. Der Jüngling, der pierrotische, zu träumerischer Ergriffenheit gefaltet. Und wie kalkrouge seine Wangen! Es ist gewißlich die Schwindsucht, mais non, da erhebt er sich, und eine stupsig Schöne eilt ihm pumpsklackend zu. Schon säuselt es ein wenig auf dem gewöhnlichen Orchesterboden des Packhaustheaters im Schnoor, es säuselt ein solches Lüftchen aus lauter Wullewuh.

Jaques Prevert. Schon mal gehört? Den Dichter, den lesen die Franzosen, sagen die Franzosen, in der Metro. Ein höheres Lob kennen sie nicht.

1977 ist er gestorben, mit 77 und selbstverständlich an Lungenkrebs. Christian Wittmann und Michaela Mazac, beide seit einem Jahr am Bremer Theater, haben aus Gedichten, Liedern,

Kurzprosa und biographischem Geplauder einen Prevert-Abend hergestellt, benannt „Die furchtbaren Apfelkerne der Wirklichkeit“. Und ich nenne den Dichter seither Jaques.

So ist er. Macht mit paar Werktagsworten die Dinge einfach, bis man sie nicht mehr glaubt, weil kein Halt mehr dran ist. Familie, Verlassen, Metro. Auf der Bühne Wittmann, Figur wie eine Gauloise, Züge zartherb.

Er riecht nicht nach Thymian, man meint es nur. Er kriegt diese Beiläufigkeit hin. Manchmal spielt er Gitarre, dann ist Michaela Mazac die Chansonette, aber die Rolle ist wie neu geschneidert und knistert noch.

Für „Die Kinder des Olymp“ hat Prevert das Drehbuch geschrieben. Klar, daß wir eine Szene sehen. Da spielt also Wittmann, als wäre er schön, und es freut mich sehr, daß das geht. Da haben wir sie, die gereinigte Liebe, aus gemeiner Lebensbrühe dreifach destilliert, eine hochprozentige Essenz, die nach gar nichts mehr riecht, was viele bewundern, ich nicht.

Dann aber wieder die schönen Gedichte! Sie sind in der Welt der Literatur die Kleinen Leute, stehen auf eigenen Füßen und zeigen Bilder her vom „Meer, das Spuren tilgt im Sand“. Sie haben nichts zu fürchten und immer gerade frei.

Andere sind gutherzige Trostspender, nicht aufregend, aber gut für die ambulante Bepflasterung kleiner Seelenrisse. In allen aber, und seien sie noch so wohlbehaust in der Sprache, steckt eine kleine, merkwürdige Dramaturgie, die hervortritt, wenn man freundlich draufschaut. Wittmann und Mazac können das. Sie nehmen die Texte so ernst wie große Rollen und weiten sie für die Bühne. Das macht, daß wir besser in die Ritzen lugen können. scha

heute 23 Uhr; am 21.7. um 23 Uhr; am 22.7. um 11.30 Uhr und am 23.7. um 19.30 Uhr, jeweils im Packhaus-Theater im Schnoor.

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