: „... dann müssen sie eben doch ins Heim“
■ Wenn die Zivi-Zahlen zurückgehen, reißt auch in Bremen das soziale Netz / Organistionen kaum vorbereitet
Stefan Licht, Zivildienstleisten
der beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) in Bremen, hat sich für seinen Ersatzdienst eine Stelle in der Individuellen-Schwerbehinderten-Betreuung ausgesucht. Er kümmert sich um Behinderte und Kranke, die nicht mehr für sich selbst sorgen können, aber dennoch nicht in ein Heim abgeschoben werden wollen. Im Wechsel mit anderen Zivis betreut er die Behinderten ganztägig und ermöglicht ihnen damit ein Leben, das dem der Nichtbehinderten zumindest ähnlich ist.
Doch möglicherweise müssen in naher Zukunft Behinderte auf derartige persönliche Betreuung verzichten. Nach Berechnungen des DPWV wird sich die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in den nächsten Jahren, bedingt durch die Einberufung der geburtenschwachen Jahrgänge, um 40 bis 50 Prozent verringern. Hinzu kommt die gerade angekündigte Dienstzeitverkürzung von bisher 20 auf 15 Monate für alle, die ihren Zivildienst seit dem 1. Oktober 1989 begonnen haben. Eine Entwicklung, die insbesondere im Bereich der Pflege- und Betreuungsdienste zum personellen Kollaps führen kann, wurden
doch gerade in diesen Gebieten zuletzt immer mehr hauptamtliche Kräfte durch kostensparende Zivis ersetzt. Denjenigen, die wie Stefans Klienten auf ständige Betreuung angewiesen sind, stehen jetzt offenbar schwere Zeiten bevor. Während die Zivis ihre jeweilige Dienstelle nur wenig kosten - der Bund zahlt die Sozialleistungen und das karge Gehalt müßten bei einem Wegfall der Zivistellen reguläre Arbeitskräfte eingestellt werden. „Die müssen dann teilweise vom Sozialamt, teilweise auch von den Betreuten selbst bezahlt werden“, weiß Stefan, „aber wenn e cht rei'kommen die betreuten Behinderten eben doch ins Heim.“
Auch Bernd Horberth, Verwaltungsstellenleiter beim DPWV Bremen, sieht schwarz für die Individuelle-Schwerbehinderten -Betreuung. Ohnehin seien für diese Tätigkeiten nur mit viel Mühe Zivis zu gewinnen, gleichwertiger Ersatz sei schon gar nicht vorhanden: „Individualbetreuung rund um die Uhr konnte bisher nur von den Zivis geleistet werden. Es gibt doch überhaupt keinen Berufszweig, der da einspringen kann.“
Neben der Betreuung wird voraussichlich der Rettungsdienst
besonders unter dem Zivimangel leiden. In den letzten Jahren sind hier die hauptamtlichen Stellen derartig reduziert worden, daß der Rettungsdienst bundesweit nunmehr zu 50 Prozent von Zivis bestritten wird. Beim Malteser Hilfsdienst (MHD) und bei der Johanniter-Unfallhilfe in Bremen vertraut man indes derzeit noch darauf, auch in den nächsten Jahren genug Dienstleistende zur Verfügung zu haben. „Wir sind auf Zivis angewiesen, weil soviele Hauptamtliche nicht zu finanzieren sind“, betont Heinz-Georg Schlömer, MHD -Bezirksgeschäftsführer in Bremen. Stattdessen denke man im gesamten sozialen Bereich eher daran, ehrenamtliche Kräfte und Freiwillige heranzuziehen, um den anstehenden Zivi -Engpass aufzufangen. Auch die Sprecherin der Johanniter -Unfallhilfe sieht derzeit keinen Anlass, in Panik zu verfallen, wenngleich die Situation sicherlich nicht einfacher werde.
Erstmal abwarten wollen auch die Bremer Krankenhäuser, in denen ebenfalls viele Zivis beschäftigt sind. Vielleicht, so spekulieren die Personalchefs der Hospitäler, werde die Situation ja gar nicht so prekär. Man hofft darauf, daß in Ermangelung eines Feindbildes die jungen Männer künftig den Zivildienst dem Wehrdienst generell vorziehen und somit der personelle Mangel auf die Bundeswehr abgewälzt wird.
Bei der Bremer Sektion des BUND für Umwelt und Naturschutz schließlich fürchtet man weniger das Ausbleiben von Zivildienstleistenden als vielmehr die kürzere Dienstzeit. „Zwar haben wir ständig Bewerber auf unsere sechs Plätze“, sagt BUND-Mitarbeiterin Elli Winter,„doch wird es jetzt schwieriger, die Neuen einzuarbeiten.“ 15 Monate seien dafür einfach zu kurz. Während die meisten Bremer Organisationen nach wie vor nicht auf ihre kriegsdienstverweigernden Billigarbeitskräfte verzichten möchten, stellt sich allein der DPWV langsam auf eine zivifreie Zukunft ein. „Der Zivi darf nicht länger Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt sein“, fordert Bernd Horberth. Man müsse endlich die Gelder für den überkommenen
Militärapparat kürzen, um stattdessen ausgebildete Kräfte im sozialen Bereich bezahlen zu können. Auch für die vielen Arbeiter
in der Rüstungsindustrie hat Horberth schon eine neue Verwendung: „Die können dann ja auch in den sozialen Bereich gehen, um
Zivis zu ersetzen. Die Leute sind ja da - nur sind sie noch am falschen Platz.“
Holger Gert
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