: Die Postkarte in Verehrung und for sale
■ „Hommage a van Gogh“ in der Ostberliner Galerie am Weidendamm
Das Todesjahr von van Gogh wird gefeiert. Kunsttouristen chartern Busse nach Amsterdam und Otterlo und lassen sich im Zweistundentakt durchs Museum schleusen. Sie fuhren nach Kassel, „Vincent zuliebe, van Gogh zu Ehren“, und sie werden nach Essen fahren, wo im August die Ausstellung präsentiert werden wird, die West-Berlin nicht übernommen hat: Vincent van Gogh und die Moderne. Dafür widmet Ost-Berlin in der Galerei am Weidendamm „van Gogh zu Ehren“ eine Ausstellung mit Originalgraphiken von 20 zeitgenössischen Künstlern, die einer Kleinstadt Zierde und Stolz wäre. Berlin will am Todesjahr van Goghs nur ein bißchen profitieren.
Die „Stiftung van Gogh“, die die Ausstellungen in Amstderdam und Otterlo profitabel ausgerichtet und alles mögliche getan hat, um beim Namen Vincent van Gogh nur noch in Quantitäten zu denken, hatte 20 Künstler eingeladen, „für Vincent van Gogh“ ein reproduzierbares Bild zu gestalten, damit es in hoher Auflage verbreitet werden kann. Sie kann sich mit ihrer Idee auf van Gogh selbst beziehen. Er hatte ein halbes Jahr vor seinem Tod an seinen Bruder geschrieben: „Besser, als flüchtige Ausstellungen zu machen, wäre es, sich ans Volk selbst zu wenden, damit jeder bei sich zu Hause Gemälde oder Reproduktionen hätte.“
Die Aufgabe, der sich Künstler - 20 an der Zahl und keine Künst lerin - wie Cucchi, Fabre, de Kooning, Lichtenstein, Mario Merz, Rainer, Tapies stellten, war Ehrensache. Der Profit der Auflagenbilder geht in die Kasse der Stiftung. Das Unternehmen ist bestechend. Einerseits arbeiten alle an einem Thema mit Vorgaben (gleiches Format, gleiches Medium und der Schriftzug „voor Vincent van Gogh“ auf jedem Blatt); andererseits ist anzunehmen, daß sich diese Künstler in einer Als-ob-Haltung befinden: Sie stellen eine Graphik her, die sie ihm, würde er plötzlich erscheinen, zum Geschenk machen würden; jedes Blatt trägt eine Widmung an ihn.
Enzo Cucchi schreibt den Namen so über die obere Blatthälfte, daß die Schrift ebenso als Grashalme oder Ähren lesbar ist. Das t von Vincent bezeichnet in der Bildmitte ein Kreuz. Davor ein Vogel zwischen zwei langen Mauern. Und sonst nichts. Minimaler zeichnerischer Einsatz, Zartheit im Ausdruck. Ein Epitaph.
David Tremlett setzt Letternreihen übers Blatt. In einem Stotterstakkato macht er dreisprachig ein Bild zum Lesen. „NEERSLACHTIG : DEPRIME : DEJECT : ALTYD ONDERWEG : EN DEPLACEMENT : MOVING : TRISTE : SAD : KLAGEN : SEPLAINDRE : COMPLANING : ARM : PAUVRE : POOR : GEEN VERKOOP : PAS DE VENT : NO SALE...“ Jedes Wort steht für sich allein. Das erschwerte Lesen verdichtet sich zu einem eindringlichen Image. Tremlett belichtet das Bild, das wir, die Nachgeborenen, die Kunsttouristen, von van Gogh gemacht haben, durch eine Rhetorik der Überwältigung neu. Das Klischee wird dramatisiert und bestätigt: der verzweifelte, der arme, der verwirrend verwirrte Vincent van Gogh.
Giulio Paolini nimmt eine Reproduktion des Selbstproträts, kopiert sie in schwarzweiß, klebt zerrissene Teile einer Postkartenreproduktion eines De-Chirico-Bildes über Stirn und linkes Auge der Kopie und verteilt die restlichen Schnipsel übers Blatt. Als habe selbst der Blick der Kopie van Goghs die aufgedrückte Postkartenreproduktion zerfetzt. Ein manieristischer Umgang mit Repros in einer Reproduktion, der das ins Spiel bringt, was vor allem von van Gogh bekannt ist: Repros.
Es wird persifliert, verdreht, verehrt. Immer wieder wird versucht,sein Blau wie er in Bewegung zu setzen, sein Gelb zum Leuchten zu bringen. Daraus entsteht eine Ansammlung von Graphiken, aber noch keine Ausstellung „van Gogh zu Ehren“, falls der Titel ästhetisch ernst genommen wird und die Künstler sich tatsächlich fragen: Was hätte er dazu gesagt? Eines allerdings wissen sie genau: Nicht nur er verkauft sich gigantisch, sondern auch das „zu Ehren“ Hergestellte.
Was hätte er dazu gesagt, wenn Richard Long ihm ein Foto geschenkt hätte, das auf jede anekdotische Anspielung verzichtet und einfach eine Steinwüste zeigt, in der Long gewandert ist. Er hat einen Kreis aus Steinen geformt und ihn fotografiert. In der Ferne, wie eine Kompaßnadel, erhebt sich ein Fels. Richard Long ist van Gogh am fernsten und hat wohl deshalb die respektabelste Arbeit in die Wanderausstellung gegeben. Sie verzichtet auf vordergründige Anspielung, besteht auch für sich allein.
Auf ganz andere Weise hat die Fotografin Emmy Andriesse in ihrer Arbeit an van Gogh erinnert. Sie ist bereits 1953 gestorben und kennt deshalb nur die rational nicht erklärbaren Bilder, nicht das rational nicht erklärbare Geschäft damit. Das ist in ihrer Fotodokumentation zu spüren. Sie reiste in die Provence und dokumentierte die Stationen in van Goghs Leben. Jeder, der in Arles gewesen ist, kennt die „Rue Vincent van Gogh, celebre peintre hollandais 1853-1890“. Sie fotografiert die Straße, Alltägliches in Gassen. Den Fotos ist die Zeit nach van Gogh kaum anzusehen. Die wenigen Menschen, die sie fotografiert hat, sind alt, sie gehen in schwarzer Tracht. Es gibt keine Autos. Menschenleere Straßen, Plätze, die Wiesen blühen, das Kornfeld steht hoch. Sommer in Arles, Anvers, Les Saintes Maries de la Mer, Saint Remy. Die Fotos erinnern an die Orte ganz im Sinne eines Sightseeings: Hier ist er gegangen, da ist er gesessen, dies war sein Stammcafe, dort könnte er gemalt, gekniet, sich angeschossen haben.
Farbig würde ein solches von vorneherein Kitsch. Schwarzweiß bedient die Augen weniger. Und die Fotos bestehen auch dann - und dies ist eine ihrer Qualitäten -, wenn sie nicht im Kontext von van Gogh gezeigt würden. Sie erzählen: von Straßen, Menschen, Lebenszeit, vom bäuerlichen Leben in der Provence. Ohne Beschönigungen, ohne aufdringliche oder raffinierte Perspektiven. Vorrang hat das Objekt im Sucher. Keine subjektive Kamera; Sachlichkeit. Und gerade deshalb, weil die Fotografin van Gogh nicht kongenial sein, im Medium der Fotografie ihm gleichkommen wollte, hinterlassen sie den stärksten Eindruck in dieser Ausstellung, die neben dem Wettbewerb „voor Vincent“ dieser Fotodokumentation einen eigenen Raum gewidmet hat.
Peter Herbstreuth
Galerie am Weidendamm: Hommage a van Gogh; Emmy Andriesse. Friedrichstraße 103, Berlin 1080 bis 29.7.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen