: „Wie Doktor Mabuse in der Alchemistenküche“
■ Horst Lorenz, der Produzent der Videoaufnahmen, die Paul Schockemöhle beim Barren zeigen, über den Sinn der Veröffentlichung, die Zustände im deutschen Springsport und seine weiteren Pläne für die Zukunft
INTERVIEW
taz: Paul Schockemöhle hat sich nach den Vorwürfen der Tierquälerei vom internationalen Sport zurückgezogen und löst seinen Stall auf. Hatten Sie mit dieser prompten Reaktion gerechnet?
Horst Lorenz: Ich hatte dem Springreiter Carsten Huck schon im Mai gesagt, daß etwas gegen Schockemöhle läuft und daß dieser Mann nicht mehr zu retten ist. Ich hatte ihn, als Kopf des bundesdeutschen Springsports, gezielt als prominentes Opfer ausgesucht, damit sich wirklich etwas ändert. Un er weiß, daß ich noch mehr Material gegen ihn habe. Deshalb hat er sich zurückgezogen.
Methoden wie das Barren sind in der Reiterszene hinlänglich bekannt. Wie war es möglich, dies so lange zu vertuschen?
Die Leute, die auf dieser Ebene Pferdesport betreiben, bilden eine völlig abgeschottete Gesellschaft. Und eine Krähe hackt natürlich der anderen kein Auge aus. Zudem fehlt tatsächlich das Unrechtsbewußtsein: das Barren wird nicht als Tierquälerei empfunden, da man damit aufgewachsen ist und weitaus schlimmere Methoden kennt. Mir scheint die Alternative, die Dr. Rainer Klimke im Fernsehen verlautbarte, symptomatisch für die Geisteshaltung dieser Leute: Dort fragte er tatsächlich, ob es uns lieber wäre, statt des Barrens die Pferde gezielt in die Sprünge hineinzureiten. Öffentlichen Zugang zum „inner circle“ hatten nur Journalisten, die als Hofberichterstatter agierten und aus falsch verstandener Solidarität solche Dinge deckten.
Sie selbst filmen seit acht Jahren bei den Reitern. Warum haben sie die Filme erst jetzt veröffentlich? Schockemöhle warf Ihnen vor, Sie hätte Ihre Tierliebe des Geldes wegen entdeckt...
Gesammelt habe ich das Material schon seit drei Jahren. In der Zeit habe ich immer wieder Leute, auch Dr. Klimke, angesprochen, und auf diese Zustände hingewiesen, ohne Erfolg. Auslöser für die Veröffentlichung war, daß Schockemöhle anfing, Gott zu spielen. Ich erfuhr, daß auf seinem Hof mit Embryotransfer gearbeitet wird. Dabei läßt man eine Erfolgsstute wird die Orchidee acht Mal pro Jahr decken, saugt den Fötus ab und pflanzt ihn in eine weniger wertvolle Stute ein. Schon hat man statt einem acht teure Orchidee-Fohlen pro Jahr. Da sind für mich die Grenzen der Ehtik überschritten. Schockemöhle kommt mir vor, wie Dr. Mabuse in der Alchemistenküche.
Wie schätzen Sie persönlich das Ausmaß umstrittener Methoden im Reitsport ein?
Das Außmaß dieser Methoden ist groß. Barren gehört noch zu den harmlosesten. Die Reiter, die solches decken, werden sich, früher als sie glauben, zu verantworten haben.
Dressur-Olympiasieger Dr. Rainer Klimke hat bereits vor zwei Jahren die Filme gesehen, von denen er sagt, sie enthielten neben dem Barren auch das Loben und Streicheln ...
Ich möchte Dr. Rainer Klimke nicht unterstellen, daß er böswillig die Unwahrheit sagt, aber seine Aussagen stimmen nicht. Das sind wahrscheinlich Vergeßlichkeiten. In den Filmen, die er und seine Frau bei mir gesehen haben, wurde nicht ein einziges Mal gelobt, sondern nur geschlagen. Das kann und werde ich beweisen. Die Unterstützung Dr. Klimkes für Schockemöhle halte ich für falsch verstandene Kameraderie, Kumpanei unter Reitersleuten. Ich bin fassungslos, daß er offensichtliche Quälereien als fachgerecht und tierfördernd hinstellt und behauptet, was wir sehen, wäre ja gar nicht so. Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.
Was bleibt Paul Schockemöhle noch zu tun?
Den mächtigen „Paten“ Schockemöhle gibt es nicht mehr. Von dem nimmt keiner mehr ein Stück Brot. Persönlich ist er Weg vom Fenster. Doch wird er sich vom internationalen Geschäft nicht ganz zurückziehen. Ich glaube, daß er über Strohleute weitermachen wird. Seine Elite-Auktion hat indes keine Chance mehr. Die Stadt Ankum wird sich nicht mehr darum reißen. Ebensowenig die Käufer, die bisher oftmals aus Image -Gründen ein P.S.-Pferd erstanden.
Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in der Affaire Schockemöhle? Die FN beharrt auf dem Standpunkt, keine unsachgemäße Behandlung der Tiere erkennen zu können.
Wenn ein Herr Wendt, Geschäftsführer der FN, in Absprache mit dem Verband keine tierquälerischen Momente auf den Filmaufnahem entdecken kann, ist er und die FN nicht mehr dialogfähig. Die haben mit Tierschutz nichts am Hut. Mit Funktionären, die ihre Kontrollfunktion mißachten, kann man keinen sauberen Springsport garantieren. Die FN hielt es nicht einmal für nötig, die vollständigen Filme zu sehen, um tatsächlich beurteilen zu können. Bisher hat weder die FN, noch der Tierschutzbund, noch die Staatsanwaltschaft die vollständigen Videos angefordert. Wo bleibt denn hier der Wille zur Wahrheitsfindung!
Zudem ist es eine Unverschämtheit von Wendt, den alten Herrn Josef Neckermann eilig eine „Ehrenerklärung“ zugunsten Schockemöhles unterschreiben zu lassen, während der verantwortliche Präsident, Herr Landsberg-Velen, auf Pilgerfahrt in Lourdes weilt.
Welche Zukunftsaussichten hat Ihrer Auffassung nach der deutsche Springsport?
Der Springsport hat erst jetzt Aussichten. Das andere, die zirzensische Darbietung rund um viel Geld, war das langsame Absterben dieser Sportart. Nun müssen neue Regeln her, nach denen die Sieger ermittelt werden können, das ganze Reglement muß erneuert werden.
Anfänglich verkündete Paul Schockemöhle, er wäre mit den Filmen erpreßt worden und hätte Anzeige gegen Sie erstattet.
Er hat keine Strafanzeige gegen mich gestellt. Im Gegenteil habe ich Strafanzeige gegen ihn gestellt, wegen Tierquälerei und Verdacht auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Schockemöhle hat sich nach Florida in den Urlaub abgeseilt. Wann erholen Sie sich?
Ich kann mir augenblicklich keine Erholung leisten. Es geht ja nicht nur um Schockemöhle. Jetzt muß man dafür kämpfen, daß neue Gesetze in den Parlamenten diskutiert, neue Reglements geschaffen werden. Auch international gibt es viel zu tun. Bei der WM in Stockholm in zwei Wochen werde ich der breiten Öffentlichkeit anhand von Filmen zeigen, was so alles gemacht wird. Jetzt geht es erst richtig los. Auch Leute wie Dr. Hanfried Haring, der als hochbezahlte Verantwortlicher des Deutschen Olympischen Komitees für Reiterei in Schweden bereits wieder das Champagnerglas schwingt, sind als Repräsentanten für den Reitsport untragbar geworden. Wer vorsätzlich die Augen verschließt, ist Mitschuld an der Misere. Meine Freunde und ich fordern, als kleine Morgengabe quasi und als Zeichen des Veränderungswillens der FN, die Entlassung von Dr. Haring und dem Geschäftsführer Wendt.
Interview: Michaela Schießl
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