Gerast, gesoffen - und gestorben

■ DDR-Unfallzahlen explodieren: Tempolimit wird „bewußt ignoriert“ / Auch ADAC jetzt für Tempolimit

Berlin (taz/ap) - Vor einer „katastrophalen Entwicklung“ des Verkehrs warnt die Volkspolizei im Bezirk Potsdam: Die Zahl der Unfalltoten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sei im Bezirk im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent auf 103 gestiegen. Gemeinsam mit dem Bezirk Halle stehe der Transitbezirk Potsdam an der Spitze. Zunehmend werde das Tempolimit „bewußt ignoriert“. Weitere Ursache der Unfall -Lawine sei die starke Zunahme des Verkehrs seit den Grenzöffnungen. Allein am Wochenende hatte die Polizei Potsdam 41 schwere Unfälle registriert. Vier Menschen starben, 45 wurden zum Teil schwer verletzt.

Auch DDR-weit ist die Zahl der Verkehrsunfälle und der Unfallopfer dramatisch gestiegen. Genau 32.712 Unfälle hat die Verkehrspolizei der DDR von Januar bis Juni 1990 registriert - 48,7 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 1989. Dabei stieg die Zahl der Toten sogar um 61 Prozent (!) von 673 auf 1.083. Die Zahl der Verletzten nahm um 61,2 Prozent auf 23.366 zu.

Die Bilanz der DDR-Verkehrspolizei erweist, daß 3.299 Unfälle (11 Prozent) von Fahrern aus der BRD und West-Berlin verursacht wurden - mit 155 Toten und 2.402 Verletzten. Als generell wichtigste Unfallursache nennt die Verkehrspolizei mit 22,7 Prozent zu schnelles Fahren, bei einer Steigerung um 51,6 Prozent. Nach der Mißachtung der Vorfahrt (20,6 Prozent) sind betrunkene FahrerInnen (9,9 Prozent) die dritthäufigste Ursache. Ihre Zahl nahm um 69,7 Prozent zu. Auch das Imponiergehabe mit Westwagen wird von der DDR -Polizei als indirekte Unfallursache genannt.

Auch der Münchner ADAC machte gestern zu schnelles Fahren für die dramatische Unfall-Entwicklung verantwortlich. Zugleich habe die Volkspolizei stark an Autorität verloren und ihre Kontrollen offenbar reduziert. Überraschend sprach sich der ADAC zunächst für die Beibehaltung des gegenwärtigen Tempolimits auf dem Großteil des DDR -Straßennetzes aus. Beim schlechten Zustand der Straßen sei dies „schon zum Erhalt der Autos“ wichtig, sagte Wuthe.

-man