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Gnadenweg - aber warum?

■ Noch immer laufen Verurteilungen gegen VolkszählungsboykotteurInnen / Amtsgericht Tiergarten verurteilte einen „Altfall“ zu Erzwingungshaft

Moabit. Eine Volkszählungsaltlast beschäftigt derzeit wieder die Berliner Justiz. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Boykotteur Peter K. nach seiner Weigerung, das angeforderte Bußgeld für den Volkszählungsboykott zu bezahlen, jetzt zu fünf Tagen Erzwingungshaft. Schon 1988 bekam Peter K. eine Verurteilung zu 500 Mark Geldbuße, weil er seinen Fragebogen nicht ausfüllen wollte. Diese Geldbuße zahlte er unter Verweis auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht. Nach zwei Jahren, K. betrachtete das Verfahren schon als verjährt (was erst nach drei Jahren ab Rechtskraft des Urteils der Fall ist), wurde gegen ihn eine fünftägige Erzwingungshaft angeordnet.

In der sofort eingereichten Beschwerde berief er sich auf ein Schreiben von Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) vom 6. Juni. Sie hatte darin auf die vom Senat ergriffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit Bußgeldverfahren gegen Volkszählungsboykotteure hingewiesen. Die „gravierenden Ungleichbehandlungen gegenüber Bürgern anderer Bundesländer“ sollten vermieden werden und, „soweit das monatliche Nettoeinkommen unter 1.500 Mark liegt, sollen gerichtsanhängige Verfahren eingestellt werden.“

Limbach geht davon aus, daß diese „letztlich im Gnadenweg wieder aufgehoben oder jedenfalls nicht vollstreckt werden“. Außerdem erläutert Peter K., daß er in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung im Oktober 1988 sehr ausführlich seine wirtschaftlichen Verhältnisse dargelegt hatte, was bei diesem Urteil allerdings nicht berücksichtigt worden sei, das Kammergericht dies sogar als nicht relevant erachtete. Ferner erklärt Peter K., daß Beschlüsse wie der über ihn verhängte selbst in Bayern nicht mehr vorkommen. Das Ergebnis der Beschwerde steht noch aus.

Annette Weber

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