: Armageddon ist ein Tierpark
Seien wir doch ehrlich, wenn uns eifrige Naturschützer warnen, daß der Tag kommen wird, an dem die von uns gequälte Natur zurückschlagen wird, dann können wir nur ein ernstes Gesicht aufsetzen und zustimmend nicken. In Wahrheit jedoch glauben wir keine Sekunde daran. Die Natur soll einen Gegenangriff starten? Na wie denn? Kein Mensch hat Angst vor der blöden Natur. Und so geht es unbekümmert weiter mit dem Wälder-, Flüsse- und Artensterben. Doch in letzter Zeit häufen sich die Meldungen, die befürchten lassen, daß doch etwas dran sein könnte an der prophezeiten Offensive von Flora und Fauna. Da sind zum Beispiel die Algen im Mittelmeer, die ganze Landstriche in
Panik versetzen. Auch großes Getier gehört zur ersten Angriffswelle. Ein Nashorn tötete letzte Woche eine Zoobesucherin in Basel, in Pamplona sind es die Kampfstiere die dieses Jahr beim traditionellen Stiertreiben durch die Straßen der Stadt drei Männer schwer und 30 weitere leicht verletzten. In Nordgriechenland und Galizien kommen die Wölfe aus den Bergen und lehren den Bauern das Fürchten. Dutzende von Schwarzbären haben in Amerika die Nationalparks verlassen und treiben sich jetzt in den Vororten New Yorks herum, sie beschränken sich zur Zeit noch darauf Papierkörbe zu durchwühlen und den Verkehr ein bißchen durcheinander zu bringen. Die beste Arbeit aber leistet eine Eliteeinheit, die von Steinmardern gebildet wird und die sich auf Sabotageakte spezialisiert hat. Ihr Operationsgebiet ist die Schweiz,
Österreich und der süddeutsche Raum. Sie greifen fast täglich eine der wichtigsten Waffen ihres Feindes an: das Auto! Ohne Rücksicht auf Prestige oder Preis der Automarken schleichen sich die Raubtiere nächtens in den Motorraum und machen
sich mit ihren spitzen Zähnen über Gummi- oder Kunststoffteile her. 1978 war der erste derartige Angriff eines Automarders beobachtet worden. Im vergangenen Jahr wurden allein in der Schweiz 4.325 Autos angegriffen und ausgeschaltet. Die Menschen sind hilflos. Das Treiben der Marder unter den Kühlerhauben gibt den Biologen Rätsel auf. Immerhin haben sie inzwischen herausgefunden, daß die Tiere Gummi und Kunststoff nicht als Nahrungsmittel ansehen. Sie halten es für möglich, daß die Autogelüste der tapferen Tiere durch einen Spieltrieb ausgelöst werden oder sich von den Muttertieren auf die Jungen übertragen. Letzteres paßt auf jeden Fall.
Wahrlich ich sage Euch, es sind nicht die apokalyptischen Reiter vor denen wir uns fürchten sollten, es sind ihre Pferde!
Karl Wegmann
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