: „Das Problem ist das Siegen um jeden Preis“
■ Interview mit der Pferdefachfrau Ursula Bruns über „leichtes Reiten“ und konventionelle Tierquälerei: „Die Pervertierung beginnt, wo aus Leistungssport Profit-Sport wird“
Ursula Bruns, 68, ist Jugend-, Sach- und Drehbuchautorin, Herausgeberin des Fachmagazins 'Freizeit im Sattel‘ und Leiterin des „Testzentrums Reken“, in dem Pferde und ReiterInnen in der „leichten Reitweise“ ausgebildet werden. Sie hat über Pferderassen der ganzen Welt Porträts geschrieben und später viele in die Bundesrepublik importiert (zum Beispiel Isländer oder amerikanische Gangarten und Westernpferde).
taz: Es war wohl den meisten klar, durch die Veröffentlichung der Schockemöhlschen Tierquälereien aber ist es wieder einmal augenfällig geworden: Gewalt im Reitsport, an erster Stelle im Springsport, ist an der Tagesordnung. Sie, Frau Bruns propagieren und lehren seit über drei Jahrzehnten den gewaltlosen Umgang mit Pferden. Was ist der Unterschied zwischen der herkömmlichen und der von Ihnen entwickelten „leichten“ Reitweise?
Ursula Bruns: Bevor ich darauf antworte, möchte ich vorausschicken: Ich bin nicht die frustrierte alte Tante, die dem Schockemöhle seine Millionen neidet. Ich verdiene mein Geld nicht mit dem Testzentrum in Reken, sondern mit meinen Büchern und meiner Reitzeitschrift. Ich habe kein Interesse daran, nun ständig über Schockemöhle zu diskutieren, denn ich denke, das lenkt vom eigentlichen Problem ab. Schockemöhle ist ja nichts weiter als ein - wenn auch bis vor kurzem ziemlich mächtiger - Repräsentant einer recht schmutzigen Branche.
Ich bin jahrelang durch die Welt gereist und habe mir Pferde, die dort gezüchtet und gebraucht werden, angesehen. Ich bin also nicht zu den großen internationalen Turnieren gefahren, um dort wieder dasselbe zu sehen, sondern dorthin, wo Pferde auf ganz verschiedene Weise - bei der Arbeit, als Transportmittel oder bei Reiterspielen - gebraucht werden. Dabei habe ich festgestellt, daß die Leute dort viel leichter, unverkrampfter und damit besser ritten als hierzulande.
Nun gibt es in der ganzen Welt nicht so viele Reitlehrer wie in der Bundesrepublik alleine, auch nicht so viele Hallen und Reitanlagen, und so habe ich mich gefragt, warum denn rund neunzig Prozent der Reiter und Reiterinnen dieser Erde so gut ohne Reitlehrer auskommen, während unsere Reiterei immer schlechter wird. Daraus ist dann die Idee entstanden, eine neue Reitweise zu entwickeln, die eigentlich auf Selbstverständlichkeiten basiert.
Erklären Sie uns diese andere Reitweise?
Die Grundlage ist das Verhältnis vom Menschen zum Tier, das heißt es geht darum, sich auf möglichst einfache Weise miteinander zu verständigen, dem Pferd ohne Gewalt klarzumachen, was man von ihm will. Wir haben eine Sitzform entwickelt, die die Knochen von Pferd und Reiter entlastet, haben das Zaumzeug auf das notwendige Minimum reduziert, Sporen und andere Zwangsmittel abgeschafft, und wir haben uns überlegt, daß die Tierquälerei bereits bei der Boxenhaltung beginnt, denn es ist einem Lauf- und Herdentier nicht zuzumuten, durchschnittlich 23 Stunden am Tag mit dem Kopf zur Wand in einem dunklen, kleinen Raum zustehen. So haben wir für die Tiere den sogenannten Offenstall erfunden und für die Menschen eine Reitlehre, die sie verstehen und in kleinen Schritten lernen können.
Was kritisieren Sie an der herkömmlichen Reiterei?
Die herkömmliche Reiterei, die ja alles andere als 'klassisch‘ ist, basiert auf einer ganzen Reihe von Mißverständnissen. Wenn Sie hier in einen Reitstall gehen, dann haben Sie die Auswahl zwischen Dressur und Springen. Die ganze Basis orientiert sich an einer überaus zweifelhaften Spitze. Unter dem Etikett Dressur, oder eben Springen, wird da etwas verkauft, das undurchdacht und absolut widersinnig ist. Ohne den Leuten die Gelegenheit zum Fragen oder zum Verstehen zu geben, wird kommandiert: „Geradesitzen, Beine runter, vorne ziehen und hinten treiben...“ Das sind völlig widersinnige Bewegungsabläufe. Aber die Sache hat sich eben „bewährt“, selbst Turnierrichter kennen das nicht anders.
„Du mußt den Bock nur richtig anpacken, dann macht er sich schon rund“, das ist ihre Dressurbotschaft. Und im Springen, ab einem bestimmten „Niveau“, heißt es dann halt: „Zieh ihm eine über, der kann das ab.“
Und dem wollten Sie etwas anderes entgegensetzen.
Mit diesem Unsinn wollten wir uns nicht länger zufriedengeben. Es gibt Hunderttausende von Menschen, und zwar auch durchaus sportlich ambitionierte, die wollen gerne anders reiten lernen. Für die gibt es nun eben unsere Methode.
Sie haben inzwischen eine ganz ansehnliche Fangemeinde. Die leichte Reitweise wird immer beliebter. Alleine in Reken werden jährlich etwa eintausend Reiterinnen und Reiter nach Ihrer Methode ausgebildet. Dennoch scheint die „Deutsche Reiterliche Vereinigung“ (FN) ein wenig zögerlich, wenn es darum geht, Ihre Ideen zum Reiten und zur Haltung von Pferden zu unterstützen. Was, denken Sie, ist der Grund?
Ich kenne die Herren von der FN ja ziemlich gut. So habe ich ihnen schon vor Jahren den Vorschlag gemacht, es doch einmal mit unserer Methode zu versuchen. Zwei Experten wurden daraufhin nach Reken beordert, um fünf Kurse zu begutachten. Sie haben uns ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt, uns aber gleichzeitig wissen lassen, daß man unmöglich dreieinhalbtausend Reitlehrer zurückrufen könnte, um ihnen zu zeigen, wie man es besser macht. Nun hätte es uns vollkommen ausgereicht, wenn der Nachwuchs entsprechend geschult worden wäre. Aber auch dies sei nicht möglich, ließ man uns wissen, Konflikte mit der älteren Generation seien dann vorprogrammiert. Das war's.
Sie haben mir in einem früheren Gespräch einmal gesagt, die deutsche FN (Federation Equestre Nationale) sei die schlimsmte in der Welt. Welche Erfahrungen haben Sie denn mit vergleichbaren reitsportlichen Organisationen im Ausland gemacht?
Ich stehe auch weiterhin zu diesem Satz, man darf das nur nicht aus dem Zusammenhang reißen. Die Franzosen und die Engländer, als diejenigen, die am häufigsten draußen, im Gelände, reiten, haben neben der FN andere Organisationen. In Frankreich gibt es sechs verschiedene Ministerien, die sich um die Pferde kümmern, aber nur zu einem Bruchteil um die internationalen Sportpferde. Die Wanderreitverbände beispielsweise sind dort viel mächtiger als die FN. Die deutsche FN ist so schlimm, weil sie alles Reiten umfassen will. Sie versucht, alles und jeden zu integrieren, vom Western Riding bis zum Distanzreiten, aber tatsächlich kümmert sie sich nur um Dressur und Springen, und auch da nur um eine vermeintlich glamouröse Spitze. Das ist ein beispiellos elitärer Herrschaftsanspruch. Der wird noch gestützt durch ihr Ausbildungsmonopol als Referenzstelle und durch ihre Funktion als Zuchtorganisation. Sie ist ja auch der Hauptverband für Zucht und Prüfung deutscher Pferde. Diese Kombination halte ich für katastrophal. Die Züchter haben jedes Jahr pro Stute ein neues Pferd, das sie verkaufen wollen...
...und durch Embryotransfer einige mehr!
Richtig. Und diese enormen Verkaufszahlen lassen sich nur garantieren, wenn auch rechtzeitig genug Pferde verschlissen werden. Dazu paßt der Turnierwahnsinn, der der FN sehr viel Geld bringt, natürlich gut.
Ist leistungssportliches Reiten überhaupt ohne Zwang möglich?
Davon bin ich fest überzeugt. Ich denke auch nicht, daß das Springen widernatürlich ist. Ich kenne Pferde, die springen phantastisch, ohne daß sie jemand dazu zwingt. Die können Sie in keiner Koppel halten, wenn die keine Lust dazu haben. Winkler (Hans-Günter Winkler, mit „Halla“ erfolgreichster deutscher Reiter überhaupt; d.R.) hat einmal gesagt, wenn wir auf jedes dieser guten Springpferde einen Affen setzen würden, dann hätten wir nur noch Sieger. Diese „klassisch“ geschulten Reiter, den ersten Rang im Kopf und den Sponsor im Kreuz, hindern sie doch eher daran, gut über ein Hindernis zu kommen.
Das Problem ist doch nicht der Leistungssport an sich, das Problem ist doch dieses Siegen um jeden Preis, die völlig überzogene Anforderung an ein Pferd, auf die Sekunde genau und möglichst unabhängig von der Tagesform eine Superleistung zu bringen. Die Pervertierung beginnt, wo aus dem Leistungssport Profit-Sport wird. Darunter haben die Pferde zu leiden. Aber da geht es ihnen nicht anders als den Tenniskindern oder den kleinen, dünnen Gymnastikmädchen.
Interview: matrix
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