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Die bearbeitete Jungfer

■ „Fräulein Julie“, eine Kammeroper von Antonio Bibalo nach August Strindberg, im Hebbel-Theater

Kein Mitleid muß man haben, wenn man sich das Stück anguckt

-sondern kapieren, wie darwinistisch es in der Welt der menschlichen Tiere zugeht. Hat man doch welches, dann bloß aus Schwäche. Zeiten werden kommen, so Strindberg im Vorwort zu seinem Stück, wo der Zuschauer ohne solche „minderwertigen und unverläßlichen Denkmethoden, die man Gefühle nennt“, auskommen wird.

Nicht notwendig muß frau sich an so ein Programm halten, wenn sie das Stück inszeniert, aber kapiert haben, daß fast nichts übrigbleibt, wenn aus der Kette der sozialen, pädagogischen, sexuellen, „genetischen“ Determination, die der Text vorschreibt, kurzerhand die Liebesgeschichte heraustranchiert wird: nichts als die Geschichte einer Grafentochter, die sich aus ungestilltem Verlangen mit einem Knecht einläßt und sich danach, weil der ein niedriger Mensch ist und sowieso die „Welt nicht lebenswert“, umbringen muß.

Braucht es anderes als die unbesehene Verkäuflichkeit von Arbeiten aus der Rubrik „Frauen bearbeiten Frauendramen“, um eine Regisseurin zu verleiten, ausgerechnet das Fräulein Julie zum Drama einer Emanzipation zu deklarieren? Frauenfeindlich wie kaum eines, ist dies Stück Strindberg(s) nicht zuletzt ein hämischer Kommentar auf die verhehrenden Konsequenzen, welche emanzipierte Mädchenerziehung seitens der Mutter bei der Tochter nach sich zieht. Julie aber, verrät die Regisseurin Karoline Gruber im Programmzettel, sei eigentlich der „verzweifelte Kampf“ um „Angenommen- und Geliebtwerden“, die „Suche nach Zärtlichkeit, Geborgenheit“ und zugleich Parabel von der „Unmöglichkeit uneingeschränkter Befriedigung ihres körperlichen Verlangens“.

In Julie hat Strindberg selbst eher ein degeneriertes Erzeugnis morbider Verhältnisse sehen wollen - niemand muß ihm das glauben. Aber seine Szenen und Dialoge zeigen uns die Figuren nun mal gerade nicht auf der Bahn der Selbstverwirklichung oder beim Encountertraining. Julies herrschaftlicher Dünkel äußerte sich in ihrer Anmaßung gegenüber dem begehrten Bedienten noch da, wo sie sich ihm so gründlich ausliefert, daß er nachher zurückschlagen kann. Julie ist nicht auf der Suche, sie will den Knecht haben, der da ist.

Demgemäß ignoriert die Inszenierung, daß die Küche eher eine Art Hintertreppe ist als ein innerer Innenraum. Es gibt keine Auf- und Abtritte, nur diesen einen Raum, und wenn die Figuren Abtritt haben, werden sie in eine Nische abgestellt.

Um in Julie also die Avantgardistin der Kämpfe um die „freie Wahl der Liebespartner“ zu sehen, muß frau vergessen, daß diese Liebesnacht mittsommernachts in der Küche überhaupt nur stattfindet, weil der Herr Vater gerade mal abwesend ist. Das ist kein paradigmatischer Umstand, sondern eröffnet die Szene - Julie und was man heute Double-bind nennen würde: Der „androgynen“ Erziehung der Mutter unterworfen, handelt sie an Stelle des Vaters, selbst -herrlich wie er und in seinem Namen, dessen Wappen auf die Livreeknöpfe des Bedienten geprägt ist. Gerade da aber, wo sie sich wie der Vater aufführt, übertritt sie dessen Gesetz, denn sie hat vergessen, daß sie eine Frau ist. Fatale Indentifizierung. Einmal „erniedrigt“, taugt sie nicht einmal mehr zum Objekt des Begehrens für den Knecht. Kehrt aber der Vater endlich zurück, genügt allein seine Stimme - unhörbar für uns, durch ein Sprachrohr, hier eine zerbeulte Blechröhre, die als verkrümmte Tentakel in den Raum ragt -, dem Spuk ein Ende zu setzen. Der aufmüpfige Knecht wird wieder devoter Knecht, die Grafentochter entleibt sich ehrenhalber. Das opponiert nicht der bösen Welt, sondern gehorcht blind dem väterlichen Gesetz und ist alles andere als ein „Freitod“.

Statt diese Zusammenhänge auf- oder anzugreifen, wird jede Gelegenheit genutzt, Bildchen einer Sexualmythik zu produzieren, die man, wäre die Regie männlichen Geschlechts, als üblen Versatz von Männerphantasien der unoriginellsten Art bemäkeln könnte. Als die Dienerin Kristin einmal böswillig erwähnt, die Aufgekratztheit der Herrschaft rühre wohl daher, daß sie „ihre Tage“ habe, kommt sogleich Julie mit einem großen Blutfleck auf dem Kleid herein, ganz ähnlich jenem anderen, der nach zehn Takten Koitus, Küchentisch und Defloration zurückbleibt. Böse Rationalität fragt obendrein: Warum muß Julie später etwaige „Folgen“ fürchten? Egal, wichtig ist eben: Blut bei der Frau ist gleich Blut.

Die Namen der abwesend-anwesenden Väter finden sich diesmal im Programmzettel, in einer lange Reihe vom Götzen Friedrich bis zum Peter Zadek, bei denen die Regisseurin ihre „Lehrzeit„“ verbrachte. Nicht daß man über den langen Arm von deren „schmutziger“ oder exzessiver oder künstlerischer Phantasien klagen wollte, aber gerne hätte man eben von einer Regiefrau anderes gesehen als die prothetische Verlängerung von dem, was keiner mehr sehen mag.

Die Musik des italienischen Komponisten Antonio Bibalo wird hauptsächlich zur Untermalung des eindringlichen Geschehens genutzt. Spannungsmomente der Komposition wie Stakkati, Tremoli, Brüche zwischen Streicher- und Flügelinstrumentation und mimetischen Passagen entsprechen jeweils prompt einer spannenden „dramatischen“ Situation. Keine Spannung gibt es zwischen Szene und Musik. Das Ganze gerät, aller Atonalität zum Trotz, zum verqueren Melodram. An der besonders in den ariosen Parts der Julie (Juta Maria Schmitz) überzeugenden gesanglichen Darbietung und auch an der instrumentalen des „Collegiums Instrumentale Dornbirn“ liegt's nicht.

Gegen Ende spricht Julie ihren Satz: „Was würden Sie an meiner Stelle tun?“ plötzlich skrupellos illusionskritisch ins Publikum. Dann, entgegen Strindbergs wohlüberlegter Szenenanweisung: „Das Fräulein geht entschlossen zur Tür hinaus“, rammt sie sich auf offener Bühne, auf dem Küchentisch, wo sonst, das Messer in den Bauch, wohin sonst.

Rff

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