: Tiefen im Hohen Haus
■ Randnotizen aus der Volkskammer / Gestreßte Abgeordnete nach konfusen Debatten urlaubsreif / Ullmann lehnt SPD-Angebot von Listenplätzen ab
Von Petra Bornhöft
Berlin (taz) - Nach den Fraktionssitzungen am heutigen Dienstag wird die Mehrheit der DDR-ParlamentarierInnen Richtung Strand, Datsche oder Bettenburg im Mittelgebirge eilen. Höchste Zeit. Extrem urlaubsbedürftig zeigten sich die Damen und Herren am Sonntag während ihrer letzten Sitzung. Besonders in der Debatte um die Koalitionskrise ließen einige RednerInnen Symptome von geistiger Verwirrung erkennen.
So phantasierte etwa ein Abgeordneter der Liberalen über das Reich des Bösen. Allen Ernstes behauptete der Mann, er sähe „die PDS und CDU mit einem gemeinsamen Spitzenkandidaten Gregor Gysi bei den Wahlen antreten“. Daß zwei konkurrierende Parteien aus unterschiedlichen Interessen trotzdem mal gemeinsam abstimmen, ging in das Hirn des Politikers nicht rein. Er warnte die CDU: „Wer mit dem Teufel essen will, braucht einen langen Löffel.“
Wenn schon nicht den Teufel persönlich, so doch mindestens die Satansbraut in Gestalt einer Opposition möchte auch Richard Schröder, der faltenzerfurchte SPD-Fraktionschef, aus dem gesamtdeutschen Parlament raushalten. Diese Institution hat nach seiner Ansicht nur eine Funktion: nämlich „eine stabile, kontinuierliche Regierung zu ermöglichen“, die „kaum arbeitsfähig ist, wenn viele Splittergruppen im Parlament sitzen“. Deshalb also die Sperrklausel. „Es ist ja nicht wahr, daß die Sperrklausel undemokratisch ist.“
Dieses sozialdemokratische Demokratieverständnis, das eine Opposition zum Schnicksack erklärt und die Exekutive zum Souverän erhebt, löste bei der Veranstaltung keinen Sturm der Entrüstung aus. Die Masse döste, manchem verschlug es die Sprache. Das Bündnis 90/Grüne empfahl den Sozis folgerichtig den Kampf für „eine Sperrklausel von 50,1 Prozent, um eine völlig ungestörte Arbeitsfähigkeit des Parlamentes zu garantieren“. In den SPD-Reihen wurde unterdessen die hohe sozialdemokratische Kunst des stillen Leidens praktiziert. Einem Genossen schwante hinterher, daß die Rede Schröders nicht folgenlos bleiben wird: „Mit dem Bündnis 90 haben wir es uns jetzt wohl verdorben.“
Das steht dahin. Noch ist ungewiß, ob sich einige Parlamentarier der Bürgerbewegungen auf die Listenplätze der SPD setzen werden. Die Antwort von Volkskammervizepräsident Dr. Wolfgang Ullmann auf eine entsprechende taz-Anfrage kam gestern. Sie besteht aus vier Buchstaben: „Nein“. Auch Konrad Weiß von „Demokratie Jetzt“ schien nach Schröders Rede nicht mehr sehr interessiert. öffentlich geißelte er die Taktik der SPD in der Wahlrechtsfrage: „Erst versuchen Sie, die Bürgerbewegungen aus dem Parlament herauszuhalten, und dann bieten Sie uns politisches Asyl auf Ihren Listen.“
Etwas globaler analysierte PDS-Chef Gregor Gysi die Lage. Er meinte, die SPD habe „in den Prozeß der deutschen Einheit bisher nur ein Bedürfnis eingebracht: die PDS zu enteignen und sie aus dem gesamtdeutschen Parlament herauszuhalten. Das finde ich etwas wenig für so eine große Partei.“ Darauf ein ganz humoriger Sozi: „Herr Gysi, stimmen Sie mir zu, daß ich mehr als ein Bedürfnis habe?“ Nach dem Bruchteil der Sekunde antwortet Gysi: „Herr Abgeordneter, das kann ich nicht beurteilen“. Offenbar zählt er zu den wenigen, die nicht stehenden Fußes in die Ferien geschickt werden sollten.
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