piwik no script img

Der Bruch mit der Vereinzelung

■ Auszüge aus einem Brief von Rolf Heißler über die Knastrevolte am 2. Juli in Straubing

Am Abend des 26.6. gegen 19.30 Uhr, das heißt nach der üblichen Einschlußzeit gegen 17.30 Uhr wurden Günter Kielbach, Bernhard Steiner und Jürgen Zimmermann aus ihren Zellen geholt und in Trakte verräumt. Am Mittwoch wurde ohne Angabe von Gründen durch den Lautsprecher verkündet, daß die Arbeitenden in den Betrieben Binderei, Falzerei I und II und Weberei nicht zur Arbeit ausrückten. Statt dessen wurden diese Betriebe von einer Hundertschaft Bediensteter gefilzt, womit angeblich schon am Abend vorher begonnen worden war. Nachmittags soll auch Dietl mit einigen Herren des Justizministeriums der Staatsanwaltschaft und der Kripo anwesend gewesen sein. Es solle sich um „mehr“ drehen. An dem Tag wurden die drei auch zwangsverlegt: Günter nach Kaisheim, Bernhard nach Amberg, Jürgen noch unbekannt. Alle drei waren Insassenvertreter, die wegen des Alibicharakters der Insassenvertretung im März/April zurückgetreten sind und die als Zeugen für die menschenrechtswidrigen Praktiken der Anstaltsleitung vor dem Untersuchungsausschuß aufgetreten sind.

Dem Abschluß der Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuß folgte die Strafe auf dem Fuße - die erwartete, schon länger angedrohte Zwangsverlegung, damit der Versuch, die unter den Gefangenen gewachsenen sozialen Strukturen auseinanderzureißen. Angeblich wurden in der Druckerei hergestellte Flugblätter mit einem (Arbeits-)Streikaufruf zum 12.7. gefunden, über die „Hintermänner“ gäbe es Vermutungen. Das Streikgerücht wanderte schon seit Monaten rum, damit wurden auch die Zwangsverlegungen von Dieter Zlof und Bernd Rosenberg im Februar gerechtfertigt. Am Montag, dem 2.7., kam dann der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte: der ausgegebene Käse war angegammelt!

Ich hatte natürlich wie immer von solchen „Nebensächlichkeiten“ nichts mitbekommen, unterhielt mich gerade mit Ausländern, die aufgrund der Sprachschwierigkeiten die Zwangsverlegungen, die angeblich gefundenen Flugblätter etc. nicht richtig mitbekommen und mich deswegen angeredet hatten, als es draußen Lärm gab. Er ebbte wieder ab, doch kurz darauf klang es massiver, und ich sah mich veranlaßt, mal gucken zu gehen. Es bot sich ein unbeschreibliches Bild: Auf beziehungsweise neben der Zentrale stapelte sich der Käse in kleinen Plastikdöschen. Die Geländer auf allen Etagen waren mit Gefangenen besetzt, Geschreie, Gepfeife, Sprechchöre „Hunger!“, „Essen!“. Die „Sicherheit“ kam, Bauer stürmte gleich in ein Zimmer zum Telefonieren. Die Zugänge zur Zentrale versperrten sie mit je einem Querstab. Einige unten, des Stehens müde - die Einschlußzeit war schon um einiges überschritten - begannen sich hinzuhocken - das Signal für einige weiter oben, sich nach unten zu begeben. Ich holte noch schnell Tabak und Blättchen und sah die Zentrale ziemlich leer, da einige Plastikdöschen mit Käse runtergeworfen worden waren. (Von den geworfenen Marmeladengläsern, von denen später geredet wurde, habe ich weder etwas gesehen noch gehört). Während sich die einen unten sammelten, machten sie die Ganggitter dicht und begannen mit dem Einschluß der anderen. Manche, die nicht wollten, ließen sie sogar noch runterkommen. Eine Situation war eingetreten, von der sicher viele lange Zeite geträumt haben, die sie sich aber trotz der guten Arbeit in den letzten Monaten wohl nicht hätten vorstellen können. Bauer verlangte, daß welche zum Reden nach oben kommen. Wir besprachen uns kurz, und es kamen ein anderer und ich auf die Treppe, uns den Rücken freihaltend. Bauer fiel die Klappe runter, als er mich sah. Damit hatte er nicht gerechnet. Eigene Schuld, hatten sie doch erst einige Tage zuvor die zurückgetretenen Insassenvertreter zwangsverlegt. Er wollte wissen, wie das Ganze zustandegekommen war. Da konnten wir ihn nur auf den Käse verweisen und ein Gespräch mit dem Anstaltsleiter und/oder jemandem aus dem Justizministerium verlangen. Von jedem behauptete er, die seien nicht erreichtbar, und mit München (dem Justizministerium), das würde dauern. Die Zeit haben wir ihnen gegeben. Wir wurde nicht aufgefordert, in die Zellen zurückzugehen. Die folgenden Stunden in Worte zu fassen, ist kaum möglich, man muß sie mitgemacht haben. Während wir mit Bauer geredet haben, hatten andere angefangen, die Forderungen zusammenzuschreiben. Es mußte erst Papier her, es mußte ein Kuli her, es war ja nichts da, nichts vorbereitet. Du sahst Leute aktiv werden, die du vorher nur mit scheelen Augen betrachtet hattest. Du vermißtest andere, deren Anwesenheit du erwartet hättest, die sich aber freiwillig hatten einschließen lassen. Eine Gangtür war offengeblieben, aus den offenen Zellen dort wurden ein paar Matrazen, Klamotten geholt, Tabak, Kaffee, Zucker, Tee. Ein Tauchsieder und ein Radio waren plötzlich von irgendwoher da. Einer verlas dann die zusammengestellten Forderungen. Allgemeine Zustimmung, um weitere Vorschläge wurde gebeten. Es wurde strikt darauf geachtet, daß keine Einzeltrips liefen (vom angeblichen Gittersägen, wie später im Radio zu hören war, haben wir nichts mitgekriegt). Bei Leuten, derer wir aus bestimmten Gründen unsicher waren, wurden andere „sichere“ in die Nähe gestellt, die im Notfall eingegriffen hätten. Und ihr müßt euch vorstellen, alles nicht in Ruhe, sondern mit Pfeifen, Klatschen, Sprechchören „Freiheit“, „Streik“ usw. Man konnte sich teils nur verständlich machen, indem man sich ins Ohr schrie. Wurde es bei uns ein wenig ruhiger, ging das Geklopfe der Eingeschlossenen an die Türen los. Auch auf das andere Haus hatte es übergeschlagen. Sachen, brennende Toilettenpapier-Rollen usw. flogen aus dem Fenster. Geschirrgeklappere gegen die Gitterstäbe. Für sie wie für uns war die Situation gleichermaßen neu. Offensichtlich haben sie, rund 40 Mann mit Knüppeln und Gaspistolen - vergeblich - aufs Abbröckeln gewartet. Es war allgemeiner Konsens, wir wollen ein Gespräch und dann werden wir weitersehen. Hauptforderung vorweg war natürlich die Rückverlegung der zwangsverlegten. Für die Nachtstunden hatten wir einen Polizeieinsatz erwartet, für diesen Fall einigten wir uns auf passiven Widerstand, selbst wenn sie knüppeln. Jede weitere Stunde war ein Gewinn mehrfür uns. Als es sechs Uhr vorbei war, rechneten wir mehr mit dem Zustandekommen eines Gespräches mit einem Ministeriumsvertreter und Otto im Verlaufe des Vormittags. Doch weit gefehlt! Gegen 6.45 Uhr sah jemand, daß Unmengen von Bereitschaftspolizei sich draußen versammelt hatte. Wir trommelten und setzten uns im Kreis zusammen. Zwickenpflug, einer von der „Sicherheit“ verkündete kaum verständlich per Megaphon, die Anstaltsleitung würde sich im Falle unseres Rückzuges in die Zellen zu einem Gespräch mit Gefangenendelegierten bereiterklären. Wir bestanden auf einem Gespräch sofort. Ich verwies noch darauf, daß dieses „Angebot“ unter dem Druck bereitstehender Polizei nicht ernstzunehmen sei, auf die Erfahrungen der Gefangenen in Santa Fu, daß die Versprechungen dort nicht eingehalten, sondern sie zwangsverlegt und isoliert wurden. Während die Gefangenen noch über eine Kompromißüberlegung murrten Rechtsanwalt unseres Vertrauens und Pressevertreter bei einem Gespräch - waren die drei Hundertschaften Bereitschaftspolizei aus dem A- und C-Flügel schon da, verkleidet mit Sturzhelm, Panzerweste, grünen Overalls und begannen, uns auseinander zu zerren. Wie der Einsatz insgesamt verlief, kann ich nicht beurteilen, weil ich vorne saß, als einer der ersten abgegriffen und in die Zelle C 0 neben den Hausarbeitern geschleift wurde. Da waren schon drei andere, der eigentliche Bewohner kam erst nach mir und machte gleich für alle Kaffee. Nach‘ ner gewissen Zeit wurden wir dort einzeln wieder rausgeholt und von je zwei Bereitschaftspolizisten zu den eigenen Zellen gebracht. Der eine meinte sogar noch: „Tschüß!“. Objektiv betrachtet, war es relativ „zivil“. Angeschwollener Knöchel, kleine Schürfwunde am Knie, das war es. Ich klopfte gleich bei meinem Nebenmann, er war auch heilwieder da. Am Abend konnte ich einen zusammenfassenden Bericht von einem Straubinger Privatsender hören: Montagabend bei der Essensausgabe verweigerten 154 Gefangene das Einschließen. Grund war ein illegal hergestelltes und die Woche davor gefundenes Flugblatt „Wir streiken“ mit 37 Forderungen, unter anderem „Kein Gewinn aus unserer Zwangsarbeit, Presse und Öffentlichkeit her, Weg mit der Knastpsychiatrie, Umwandlung von Haus III in eine Familien-Begegnungsstätte, General -Aufschluß bis 24 Uhr, Küchen- und Telefonzellen, weg mit der Ausländerdiskriminierung“ usw. Mit Polizeidruck wurden am Morgen Gefangene in ihre Zellen gebracht... doch lautstarkes Geschirrklappern...Interview mit Anwohner: Kinder können nicht schlafen, genaueres nicht gehört... Interview mit Otto: wir beobachten... auf Apelle an Vernunft via Radio würde es immer laut. Normalisierung hätte begonnen... Seit Monaten würde hier über Geiselnahme diskutiert (dieses Gerücht hörte ich zum ersten Mal nach der letzten Dreier-Verlegung, zur Erklärung der Anwesenheit von Staatsanwaltschaft und Kripo). Es gäbe keine Zugeständnisse, wäre gefährlich, wenn durch Aktionen Dinge erpreßt würden. Die Dinge stünden nicht in seiner Macht. Das Blatt sei ausgereizt, ohne mehr Geld und Personal wäre nicht mehr möglich. Auf konkrete Fragen nach mir, als dem einzigen namentlich bekannten Gefangenen, lies er sich nicht ein. Die Probleme seien nicht durch Verlegungen zu lösen. Erst letzte Woche seien drei wegen des Flugblattes verlegt worden, man wolle den Bazillus nicht in andere Knäste weiterreichen. Dann kam noch von der SPD, Justizministerin Berghofer -Weichner hätte die Proteste provoziert. Der Untersuchungsausschuß wolle in die JVA. Sie wies beides zurück. Zum Abschluß wurde noch gesagt, in anderthalb Stunden könnten die Gefangenen Weltmeisterschaft glotzen. Aber nach den Geräuschen kann das nicht die Mehrheit gewesen sein. Das Geklappere an die Gitterstäbe, Sprechchöre „Otto weg!“, „Halten wir durch?“, „Ja!“, „Wir müssen zusammenhalten!“, „Ja!“ Das Geböllere an die Türen nach innen ging bis zwei Uhr. War es hier ein bißchen ruhiger, schien der Krach von Haus I rüberzutönen.

Das Fazit: Wie auch immer es weitergehen wird, das Straubing nach dem 2.7. wird nicht mehr mit dem davor vergleichbar sein, der Bruch mit der Vereinzelung, die Erfahrung solidarischen Verhaltens werden langfristige Wirkung haben.

Rolf Heißler(inzwischen auch zwangsverlegt nach Stadelheim)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen