: BUNSENBRENNER Der Lockruf der Harmonika
■ Die Fruchtfliege und die Phantasie der Amerikaner
Südkaliforniern wird seit einem Jahr von einer bösen Fliegenplage heimgesucht. Die mediterrane Fruchtfliege macht sich insbesondere über die Zitrusplantagen her. Die staatlichen Ungeziefer-Headquarters reagieren brutal bis ratlos: Pestizide im Wert von 40 Millionen Dollar wurden versprüht und auch schon mal sterile Fliegen freigesetzt, um den unbändigen Vermehrungsdrang des kleinteiligen Feindes zu stoppen.
Ganz anders die von der Plage beunruhigten Amerikaner, die offenbar fürchten, selbst Opfer des Pestizidausstoßes zu werden. Mit einer wahren Flut eigener high-tec, low-tec, no -tec und whow!-tec-Ideen zur Fliegenausrottung überschwemmen sie die delirierenden Fruchtfliegenbekämpfer.
Die Vorschläge reichen von gentechnisch produzierten flügellosen Fliegenmonstern, über gemeine Killer-Bakterien, bis hin zur Psychologie.Psychotronics heißt beispielsweise die Technik, mittels derer Charles F. Whitehouse aus Paradise Valley geballte psychische Energie (?) auf die Billiarden Kleinviecher schießen will, die dann umgehend und kollektiv in den Orkus einfahren.
Mit einer weniger esoterischen Lösung lockte kürzlich Sherman Horstetter Sr. aus Beaver Falls (Pennsylvania) die ratlosen staatlichen Fruchtfliegen-Jäger. Für 20 Dollar das Stück wollte der Mann konventionelle Straßenlaternen in Ungeziefer-Tötungsmaschinen verwandeln. Das Licht sollte die Tiere anlocken, ein stromführendes Drahtnetz sie anschließend um die Ecke bringen. Nur: die mediterrane Fruchtfliege mag keine Lampen. „Das habe ich nicht gewußt“, maulte Horstetter.
Grauen löste eine andere Idee aus. Das gesamte befallene Gebiet solle mit hochkarätigen Lautsprechern bestückt und mit vollpower Acid-Rock beschallt werden. Das werde die Fliegen - und mit ihnen alle anderen Lebewesen - in kürzester Zeit vertreiben.
Einer der führenden Fruchtfliegenexperten der Welt, Ray Cunningham, plädiert für die gegenteilige Methode. Der Insektologe will weiter nach Lockmitteln für die lästigen Insekten suchen, um der Plage Herr zu werden. Allerdings sei „trial and error“ nach wie vor die einzig gangbare Methode. Bisher gab es immer nur error. Fruchtfliegenforscher konnten unter zehntausenden von Agenzien jenes wohlriechende Wundermittel noch nicht entdecken, das das wählerische Insekt unwiderstehlich findet.
Bleibt die Akustik: Das tiefe Fis der Harmonika, fand der deutsche (sic!) Wissenschftler G. Rolli bereits 1974, trifft genau den Brunstschrei einer Fruchtfliege und würde sie bis ans Ende der Welt locken. Rolli wandte sich an die Firma Hohner, der Welt größten Harmonikaproduzenten. Der schickte umgehend zehn Instrumente - und hörte nichts mehr von Rolli und seinem Experiment. Der Absatz von Hohner-Harmonikas in Kalifornien stagniert, Pestizide gehen gut.
gero/wps
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen