: „Geisterverhandlung“ mit Sonderkommando nebenan
■ Verteidiger zogen aus und Angeklagte schwiegen / Prozeßbesucher wurden ausgesperrt / Im Gerichtssaal gegenüber wartete die Staatsgewalt in Form des Sonderkommandos USK auf ihren Einsatz / Münchner Autonome wurden trotz allem zu Bewährungsstrafen verurteilt
Aus München Luitgard Koch
Kai Wagler zieht seine schwarze Robe aus und packt sie sorgfältig in seinen braunen Lederkoffer. „Ich lege für Herrn H. das Mandat nieder, weil ich bei dieser sitzungspolizeilichen Verfügung nicht sehe, wie ich hier noch weiter verteidigen soll“, erklärt der Münchner Rechtsanwalt. Sein Kollege Michael Reiss schließt sich ihm an. Demonstrativ verlassen die beiden Rechtsanwälte den Saal des Münchner Amtsgerichts.
Was die Anwälte zu diesem Schritt zwang, ist eine zweiseitige „Sitzungspolizeiliche Verfügung“, mit der Richter Robert Feistkorn das Verfahren gegen die beiden Münchner Autonomen Johannes L. und Mike H. nochmals verschärft hat. Draußen auf dem Gang stellt die Polizei eiserne Absperrungen auf. Nur nach Ausweis- und Taschenkontrolle bekommt der Prozeßbesucher ein rotes Nummernkärtchen als Passierschein. Mit diesen rigiden Maßnahmen versucht sich Richter Feistkorn die „Sympathisanten“, so seine Bezeichnung, vom Leib zu halten. „Lass'ns uns durch, mir san die Angeklagten“, muß Johannes L. den vor Übereifer blindgewordenen Beamten klarmachen. Auf der Anklagebank sind die Plätze der beiden mit Namensschildern gekennzeichnet.
Was läßt die bayerische Justiz derart zittern? Angeklagt sind die beiden jungen Männer wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Beleidigung. Dafür saßen sie schon vor der ordentlichen Verhandlung drei Wochen im Gefängnis, nachdem Richter Feistkorn einen Haftbefehl gegen sie erließ. Als sie in Stammheim den Prozeß gegen Luitgard Hornstein besuchten, der vorgeworfen wurde, an einem Anschlag auf Dornier beteiligt gewesen zu sein, wurden sie in der Mittagspause plötzlich festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Haftbefehl jedoch schon einen Monat alt. Begründet wurde die Festnahme und anschließende Haft in Stammheim und Stadelheim damit, daß sie sich ihrem Prozeß angeblich entziehen wollten.
Stammheimer Verhältnisse jetzt auch in München? Nicht ganz. „Wir werden keinen Schritt in diese Richtung akzeptieren“, versucht sich Mike H. gegen die „gut geölte Justizmaschinerie“ zu wehren. „Ohne ihr hochgeschätztes Publikum“ weigern sich auch die Angeklagten, weiter mitzuspielen. Sie stellen einen Antrag, aus der Verhandlung ausgeschlossen zu werden. „Wir verzichten auf das ganze andere juristische Brimborium“. Etwas hilflos blättert Richter Feistkorn in seinem Gesetzbuch. Den Antrag „auf Entbindung des Erscheinens“ muß auch Staatsanwalt Gerhard Mützel „erst mal überreißen“. Trotzdem - von der Notwendigkeit der sitzungspolizeilichen Anordnung sind beide überzeugt. „Den Gipfel erreichte das Verhalten der Zuhörer dadurch, daß sie ohne Absehen eines zeitlichen Endes die Internationale angestimmt haben“, ereifert sich Richter Feistkorn. Was dann geschah - die Polizei prügelte die Zuhörer aus dem Gerichtsgebäude -, darüber verliert der Richter freilich kein Wort.
Selbst den überzogenen Haftbefehl verteidigt Staatsanwalt Mützel nochmals. Und ebenso wie sein Kollege Simper beim ersten Verhandlungstermin „verbeißt“ er sich in die Mao -Mütze auf dem Kopf von Johannes L. Eine Ordnungsstrafe muß her und die Mütze vom Kopf. Richter Feistkorn hat jedoch, nachdem die Anwälte den Saal verlassen haben und die Angeklagten schweigen, andere Sorgen. Kann ihr Schweigen als Verzicht auf Vereidigung der Zeugen gewertet werden? Staatsanwalt Mützel hat die Idee. Einfach vereidigen, dann stimmt's schon. Was Rechtsanwälte in anderen Verfahren immer umsonst forderten, nämlich die oft „präparierten“ Polizeizeugen zu vereidigen, ist jetzt problemlos möglich.
Gehorsam schwört der junge Polizeibeamte in Polohemd, Jeans und mit sportlichem Schnauzbart auf Gott den Allmächtigen. Vorher hat er noch bestätigt, daß die beiden Angeklagten eine junge Frau aus seiner Gewalt befreien wollten, die ihn angeblich angespuckt hatte. Passiert ist das Ganze bei einer Kundgebung zur Zusammenlegung der politischen Gefangenen vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht im Zusammenhang mit einem 129a-Verfahren, das vor allem dadurch auffiel, daß die Polizei ins Szenelokal „Normal“ einfiel, um mögliche Prozeßbesucher festzunehmen. „Außerdem hat er uns dann noch beleidigt, i glab, Mörder und Vergewaltiger hat er gsagt“. Der junge Polizeibeamte wirkt unsicher. Er nahm Johannes L. in der Münchner Fußgängerzone fest und schleppte ihn aufs Revier in der Ettstraße, wo er nackt ausgezogen wurde. Grund: Johannes L. hatte nicht schnell genug seinen Ausweis gezückt. Verfolgt wurden er und seine Freundin, weil sie zuvor, mit Einwilligung der Schauspielleitung, auf der Bühne der Münchner Kammerspiele eine Erklärung gegen ein Symposium der CSU-Kaderschmiede Hanns-Seidel-Stiftung abgegeben hatten.
Für Staatsanwalt Mützel ist alles klar. Er fordert für Johannes L. fünf Monate Haft ohne Bewährung. Denn ob Wackersdorf oder Friedensbewegung, Johannes L. hat sich mit der Staatsmacht angelegt und ist somit „vorbelastet“ . Für seinen Freund Mike scheinen ihm dagegen vier Monate auf drei Jahre Bewährung Strafe genug. Scheinbar liberal gewährt Richter Feistkorn dann Johannes L. doch eine fünfmonatige Haftstrafe mit vier Jahren Bewährung. Sein Freund Mike H. wird zu drei Monaten Haft auf drei Jahre Bewährung verurteilt. „Weil die Angeklagten sich einige Zeit in Haft befunden haben“, verzichtet Feistkorn großzügig auf weitere Auflagen bei der Bewährungsstrafe. „Solche Geisterverhandlungen mag ich gar nicht“, meint Staatsanwalt Mützel nach der Urteilsverkündung. Die Tür im Gerichtssaal gegenüber steht offen. Eine Einheit des „Unterstützungskommandos“ (USK) wartete dort auf ihren Einsatz.
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