: Tausend Augen
■ Drei Maler aus Ägypten im Goethe-Institut
Araber und Lateinamerikaner, Afrikaner und Asiaten, die im Goethe-Institut in der Hardenbergstraße Deutsch lernen, sitzen dort im Aufenthaltsraum, schreiben an den kleinen Tischen, ziehen Tee oder Kaffee aus den Automaten, warten auf Dozenten oder Freunde. Viele von ihnen starren gedankenversunken in einen großen Farbfernseher und gucken englische Videoclips; kaum einer wirft einen Blick auf die dort ausgestellten Bilder von drei naiven ägyptischen Künstlern. In dieser fremdelnden Atmosphäre eines klinisch sauberen Wartesaals wirken deren poetische und randvolle Bild erzählungen wie verloren.
Zwischen Türen eingeklemmt und über Fotokopiergeräten und Sesseln lieblos verteilt, hängen die schwarzweißen Tuschzeichnungen von Hassan Abdel Rahman Hassan. Ein Blatt erzählt vom Ruin des Fellachen: Ein Bauer hockt gleich der Beute einer Spinne unglücklich zusammengekauert in einem Netz aus verknoteten Stricken. In dessen Mitte versinkt ein Segelschiff, von den Seilen wie ein wirbelnder Strudel umgeben. Am Bildrand windet sich eine Schlange zu einem Vogelnest empor, um die Eier zu rauben; den Hals eines Vogels würgt eine Hand. Aus einem Holzstumpf schlägt eine Flamme. Alles Unglück der Welt scheint über dem Fellachen ausgeschüttet. Die zu einfachen Piktogrammen verkürzten katastrophischen Situationen verweben die Stricke, mit denen sich aufzuknüpfen die letzte Handlungsmöglichkeit des Fellachen zu sein droht, zu einem Ornament.
Der Maler Hassan Abdel Rahman Hassan besitzt in einem Fellachendorf in Oberägypten einen kleinen Laden und zeichnet mit den Farben, die außer ihm nur die Schulkinder benutzen. Einen Teil des Lebensunterhaltes für seine siebenköpfige Familie verdient der Vierzigjährige durch die Bemalung der Häuser der aus Mekka zurückkehrenden Pilger. In seinen Zeichnungen tuscht er den Bildgrund schwarz und spart die Konturen weiß aus, so daß sie an die kontrastreiche und kantige Bildsprache von Holzschnitten erinnern. Das Leben in den alten hierarchischen Dorfstrukturen übersetzt er in eine realistische und symbolreiche Sprache. Wiederholt benutzt er Totenschädel für die Kennzeichnung des den Muslimen verbotenen Bösen und zeichnet große, die Tugendhaftigkeit der Frauen kontrollierende Augen ein wie die, die in den alten ägyptischen Bildertexten die göttlichen Gestirne Sonne und Mond symbolisierten. Ohne Verharmlosungen und Idealisierungen ist er zum Chronisten und moralischen Wächter des Alltags im Dorf geworden.
Doch auch städtisches Leben hat in die Kunst Hassans, der seit 1988, nachdem er schon fast zwanzig Jahre lang zeichnete, die Fakultät der Schönen Künste in der Stadt Menia besucht, Eingang gefunden. Seine Verzweifelten Menschen wirbeln umeinander in einem Regen von Schlüsseln vor einer Neubaukulisse. Jede Perspektive ist im Gewirr der gekippten und trudelnden Gesichter verlorengegangen. Mit diesem Chaos dokumentiert Hassan das Getriebensein der Obdachlosen, die in der Stadt das teure Schlüsselgeld für eine Wohnung nicht bezahlen können. So entwickelt er eine auch sozialkritische Bildsprache, in die er einerseits traditionsreiche Chiffren übernimmt und sie andererseits um moderne Zeichen erweitert.
Sayed Amin Fayed wuchs in einem Dorf nahe den Pyramiden und Sphingen auf. Vertraut mit den ägyptischen Altertümern, verwandelt er deren von Vögeln, Hunden und Schlangen bevölkerte Bilderschriften in neue fließende Formen, erotisch und geheimnisvoll, um die ihn Dadaisten und Surrealisten gewiß beneidet hätten. In den dunkel leuchtenden Gouachen und Zeichnungen wachsen Menschen aus Tieren hervor, werden Augen zu Fischen, mutieren die Schwanzflossen eines kopfstehenden Walfisches zu Hasenohren. Die schwellenden Formen der phantastischen Mischwesen wuchern in schlingernden Tentakeln nach allen Seiten. An Tiefseelandschaften und Bilder aus dem Inneren des Leibes, mit pulsierenden Adern und klopfenden Organen, erinnern seine Kompositionen. Ein Embryo, von Schlangen umwachsen, deren Köpfe nur aus Augen bestehen, bezeichnet ihm Geborgenheit. Seiner krokodilgesichtigen Business -Woman quillt eine dicke rote Zunge aus dem Mund, an deren Spitze sich ein kleiner Mann erhängt hat. Die exotische Frau wird mit ihren unentwirrbaren Gliedern und Fühlern, die wieder in Augäpfeln münden, zu einem Bild von vielfältiger Berührung. Die Augen am Ende der Tastorgane deuten auch auf eine andere Bedeutung des Ansehens, das für Fayed zu einem Medium der Berührung wird. Für ihn, der zuerst Figuren aus Kalkstein schnitzte, scheint der Tastsinn und die körperliche Empfindung mindestens so stark seine Bildformulierungen zu prägen wie der Augensinn.
In seinen Bildern gibt es keinen unbelebten Raum, keine leeren Flächen. Mindestens ein kleines Auge erhält jeder Fleck. Jede Umrißlinie trennt nur zwei verschiedene Wesen voneinander wie eine durchlässige Membran. Fayeds Bilder interpretieren das Leben in den Dualismen von Gut und Böse, Arm und Reich, Innen und Außen. Der Umraum jeder Figur wird dabei von dem ihr zugehörigen Gegenbild ausgefüllt. Jede positive Form findet ihre negative Entsprechung. Die Konturen fungieren dabei als Grenzen, die nur unterschiedliche Zustände eines Wesens voneinander scheiden. Sie entsprechen so der Darstellung des Todes in den ägyptischen Grabkammern, der nur die Reisen durch zwei unterschiedliche Reiche, diesseits und jenseits seiner Grenze, voneinander trennte.
Allein Fayeds flüchtige Maltechnik und seine einfachen Materialien lassen noch den Autodidakten erkennen. Der Scheich Ramadan Abu Suelem dagegen, der ungefähr als Vierzigjähriger vor 20 Jahren zu malen begann, zeichnet mit zerkauten Dattelstengeln statt eines Pinsels so detailreich und bunt, wie man es sich oft als Schulkind erträumte. In seiner Illustration der Sieben fetten Jahre aus der Josephslegende (Teil des Korans) malt er die blauen Pfützen des nach der jährlichen Überschwemmung ablaufenden Nilwassers, zeichnet die Risse im trocknenden Uferschlamm, punktiert den Ufersaum mit den gelben Saatkörnern, läßt die grünen Halme aus der Erde sprießen, versieht im darüberliegenden Feld jeden Kornhalm mit einer Ähre, liniert die Ährenbündel auf den Rücken der die Ernte heimtragenden knickbeinigen Kamele, wirbelt die braunen Körner beim Dreschen durcheinander und stapelt schließlich die Kornsäcke im Speicher. So hält er in einem Bild die verschiedenen Stadien des Säens und Erntens fest und entwirft mit seiner Interpretation der Legende zugleich ein Bild von dem Lebensrhythmus am Nilufer. In Scheich Ramadans epischen Bilderzählungen vermischen sich Historie, Überlieferungen und die Gegenwart eines seit Jahrhunderten wenig veränderten bäuerlichen Lebens.
Scheich Ramadan, der nicht nur malt, sondern auch Araberpferde trainiert und auf Festen tanzen läßt, genießt zwar in seinem Dorf, das ihn zum Oberhaupt gewählt hat, großes Ansehen; sein Malen aber erscheint vielen als Zeitverschwendung. Fayed gilt als Einzelgänger in seinem Dorf; er malt nachts und schläft am Tag. Auch Hassans Bilder werden, wenn er nicht die Häuser der Pilger verziert, von seiner Umgebung als unnütze Arbeit angesehen. Alle drei leben in einer Kultur, die zwar das Kunsthandwerk und die kultisch eingebundene Kunst des alten Ägyptens kennt, nicht aber den Beruf des freien Künstlers. Malen und Zeichnen gilt im dörflichen Alltag als den Schulkindern vorbehaltene Beschäftigung.
In das Goethe-Institut gelangten Fayed, Scheich Ramadan und Hassan über die Vermittlung von Frau Schernig, die vor zehn Jahren von Deutschland nach Kairo gezogen war und dort begann, in Ägypten jenseits der modernen ägyptischen Kunst nach Zeugnissen einer von westlichen Traditionen unberührten Volkskunst zu suchen. Die von ihr organisierten Ausstellungen am Goethe-Institut in Kairo und in einer dortigen Galerie verhalfen den Malern auch in den Augen der Menschen in ihren Gemeinden zu einer neuen Achtung ihrer Tätigkeit. Diese Aufwertung einer durch keine fremden Einflüsse gebrochenen Kunstsprache durch die authentizitätsbesessenen Europäer, die den Kontakt zu ihren eigenen Ursprüngen schon längst verloren haben, bleibt ein Paradox.
Die Naivität der ägyptischen Künstler ist nicht vergleichbar der der malenden Laien bei uns, die von der überall greifbaren Kunstgeschichte absehen und ohne Reflexion der Entwicklung der ästhetischen Produktionsmittel malen. Hier ist naive Kunst ein Bekenntnis, eine subjektive Entscheidung; dort entsteht sie aus dem gleichzeitigen Nebeneinander einer differenzierten und industrialisierten Kultur, deren Künstler sich oft auf die westliche Kunstgeschichte beziehen, und ländlichen Lebensformen, die sich über Jahrhunderte wenig ge ändert haben. Daß ausgerechnet im Goethe-Institut, dem repräsentativen Ort der nur knapp ein paar Jahrhunderte währenden deutschen Kultur, ägyptische Kunst, die schon Jahrtausende vor der Antike begann, mit naiven Malern vorgestellt wird, ist eine merkwürdige Verdrehung der Weltgeschichte.
Katrin Bettina Müller
Goethe-Institut, Hardenbergstra ße 7, Berlin 12. Bis 7. September Mo. bis Fr. von 8 Uhr 30 bis 21 Uhr.
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