: Dem Täter auf der Spur
■ „27.Juli 1890 - Warum erschoß sich Vincent van Gogh?“, Di., 23Uhr, ARD
Der Titel schien sich doch mehr als Quizfrage für schlaue Füchse und Schnellmerker der einst so populären Krimirateserie Dem Täter auf der Spur zu eignen, denn als Motto einer ernstzunehmenden Dokumentation. Wer war der Täter, was meinen Sie? Der Absinth, die Epilepsie, der Bruder, die Nachbarn, das Künstlertum, oder am Ende der Maler selbst? Nun gibt es doch immer wieder Überraschungen im Leben wie im Fernsehen. Und eine solche war's.
„Es war ein Sonntag. Einer namens van Gogh, 37 Jahre alt, Kunstmaler auf der Durchreise, hat sich auf den Feldern von Auvers mit einem Revolver angeschossen. Er kehrte verwundet in sein Zimmer zurück, wo er zwei Tage später starb.“ So lautete die Zeitungsmeldung. Auf dem Sterbebett wurde der Maler von zwei Gendarmen verhört, woher er die Pistole habe und warum er sich ermorden wollte. Er verweigerte die Antwort, war, laut Bruder Theo, ganz von Ruhe und Trauer erfüllt. Kurz zuvor schrieb er in einem Brief: „Man steigt in einen Zug ein, der zu einem Stern fährt“, und meinte seinen Tod.
Der Film zeichnet, nachdem die Biographie des Malers in großzügigen, aber nicht groben Strichen skizziert worden ist, die letzten Jahre seines Lebens nach: die gemeinsame Zeit mit dem Malerfreund Gauguin in Arles, die in einer Auseinandersetzung endete. Van Gogh war nicht an der impressionistisch-behutsamen Auflösung der Fläche interessiert, und der flächige Symbolismus Gauguins, in einem Porträt des Freundes auf ihn selbst angewandt, stieß ihn ab: Die Gesichter seiner Menschen flimmerten und leuchteten nicht, sondern wurden zerschnitten und zermalmt. Gauguin behauptete später, der Freund wäre mit einem Rasiermesser auf ihn losgegangen.
Am darauffolgenden Tag schnitt van Gogh sich einen Teil seines Ohres ab, um es, wie der Matador nach der Tötung des Stiers das blutige Stück Fleisch, seiner Dame des Herzens zu überreichen: der Prostituierten Rachel. Er erlitt einen epileptischen Anfall, wurde in Einzelhaft genommen, aß Farbe und trank Terpentin. Van Goghs auch religiöser Fanatismus, seine Unduldsamkeit werden erwähnt, ohne ihn zu denunzieren. Sein Verteidiger Antonin Artaud kommt ausführlich zu Wort, der gegen den Mythos des Märtyrers die Welt um ihn zur Verantwortung zog: „Niemand begeht allein Selbstmord. Es gehört eine ganze Armee böser Wesen dazu.“
Die Mittel dieses Films sind einfach und populär wie seine Zeugen das Gegenteil: Artauds existenzialistische Sätze, Mahlers abgrundtief wehmütige Musik zu bleischweren Kornfeldern und fliegenden Möwen im Gegenlicht. Eine Neigung zum Pastoralen ist unverkennbar, wird aber in der Schwebe gehalten wie auch die unmögliche Antwort auf die blödeste aller möglichen Fragen. „Ich habe mich verfehlt“, sagt der angeschossene Mann auf seinem Sterbebett. Und über seine Bilder: „Ich will Lügen produzieren, wahrer als die Wahrheit.“ Es grenzt hart ans Unmögliche, aber der Film hat diese Sätze ernst genommen.
Elke Schmitter
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