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„The Great S&L-Swindle“

■ Amerika muß den Liberalisierungswahn der Reagan-Administration in den 80er Jahren nun teuer bezahlen / Bis zu einer Billion Dollar wird den Steuerzahler die Sanierung der bankrotten US-Sparkassen am Ende kosten / Erst Bush-Sohn machte die Sparkassenpleite zum politischen Skandal

Aus Washington Rolf Paasch

Es ist eine Affäre der Superlative: „Amerikas größter Skandal des 20. Jahrhunderts.“ „Die teuerste Bankensanierung aller Zeiten.“ „Der größte Bankraub der Geschichte“. Doch monatelang blieb die Kollektivpleite von mindestens 1.000 Sparbanken, sogenannten „Savings and Loans Institutions“ (S&Ls), auf die Wirtschaftsseiten der Tagespresse verbannt, und so für den Durchschnittsamerikaner nur abstrakte Zahlenspielerei. Erst als Präsident George Bush im Juni seinen Steuerschwur („No New Taxes“) brach, um die staatlichen Bürgschaften für die verlorengegangenen Spareinlagen bezahlen zu können, da wurde der Steuerzahler plötzlich hellhörig. Nachdem jetzt auch die Verwicklung des Präsidentensohnes Neil in die großzügige Vergabe von Krediten an windige Grundstücksspekulanten in Texas bekannt wurde, ist die S&L-Krise das heißeste politische Thema im Lande.

Lange Zeit eine Sparkassenidylle

Das Volk ruft nach Rache für die Plünderung der Ortsparkassen durch die kriminelle Elite des Landes, während Demokraten wie Republikaner verzweifelt nach Schuldigen für die Riesenpleite suchen, in die auch führende Kongreßmitglieder beider Parteien bis zum Halse verstrickt sind.

Die politische Rechnung für ihre Verwicklung in die Banken -Bonanza wird einigen Amtsinhabern bereits bei den Kongreßwahlen im Herbst präsentiert werden. Ob die Krise bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 1992 George Bush angelastet werden wird, hängt nicht zuletzt vom politischen Umgang mit den leergeräumten Sparkassentresoren ab.

Dabei war fünfzig Jahre alles gut gegangen. Amerikas Sparkassen und Hypothekenbanken galten als propere und verläßliche Finanzinstitutionen, denen der kleine Mann und seine Frau bedenkenlos ihre hart erarbeiteten Dollars anvertrauten. Diese anfangs bis zu 40.000 Dollar vom Staat garantierten Spareinlagen wurden von den S&Ls wiederum an die amerikanische Mittelklasse verliehen, auf daß sich deren strebsameren Mitglieder ihren Traum vom Eigenheim erfüllen konnten. Die oft als Kooperativen gemanagten S&Ls wurden so zum Dreh- und Angelpunkt der lokalen Volkswirtschaft, zum Motor des prosperierenden Immobilienmarktes im Middle America zur Mitte dieses Jahrhunderts.

Erst in den 70er Jahren zerstörte der Öllpreisschock dieses Sparkassenidyll. Rasch ansteigende Zinsen brachten das jahrzehntelang gewahrte Gleichgewicht zwischen den zu variablen Zinssätzen kurzfristig angelegten Spareinlagen und den zu festen Zinssätzen langfristig vergebenen Krediten zum Einsturz. Plötzlich hatten die S&Ls Hypotheken mit 20jähriger Laufzeit zu sechs bis sieben Prozent in ihren Büchern, während die Anleger nun Zinsen von bis zu 15 Prozent verlangten oder ihr Geld eben anderswo hintrugen.

Um ihre Attraktivität zur retten, verschrieb die Reagan -Administration den kränkelnden Sparkassen die ideologische Wunderdroge der 80er Jahre: Liberalisierung. Vor den erwartungsvollen Vertretern der Sparkassenlobby unterzeichnete Ronald Reagan am 15.Oktober 1982 das wohl verhängnisvollste Gesetzeswerk seiner Karriere: den „Garn St. Germain Depository Institutions Decontrol Act“. Von nun an mußten sich die S&Ls nicht mehr mit den wenig profitablen Hypotheken bescheiden, sondern durften bis zu 40 Prozent ihrer Aktiva frei investieren; und dies bei einer lächerlich geringen Kapitalbasis.

Uncle Sam,

der Bürge

Außerdem durften die Sparkbanken nun auch sogenannte „brokered deposits“ akzeptieren, Einlagen von jeweils 100.000 Dollar, die, nachdem sie individuell vom Staat verbürgt, anschließend auf dem freien Markt gehandelt werden. Geschickten Sparkassenbesitzern gelang es damit, ihre bisherigen Millioneneinlagen binnen weniger Jahre auf Milliardenhöhe aufzublähen, um das Geld dann anschließend in jedes noch so riskante Projekt zu investieren; und alles garantiert versichert von Uncle Sam.

Bald hatten die findigen und windigen Charaktere im Lande, Finanzabenteurer und Mafiosi, Politicos und Berufsschwindler, junk bond-Jongleure und CIA-Agenten (siehe nebenstehenden Artikel) sowie eine stattliche Anzahl von Dilettanten erkannt, welch unkontrollierten Selbstbedienungsladen für staatlich verbürgte Kredite die Reagan-Administration hier eröffnet hatte. Bald tummelten sich mehr als zwilichtige Gestalten hinter den Tresen der einst konservativsten Finanzinstitutionen Amerikas. Da wurden Grundbesitztitel in konzertierten Aktionen hin und hergeschoben, um die Vermögenstitel der S&Ls künstlich aufzublasen; da wurden ganze S&Ls mit junk bonds gekauft, ehe die Sparkasse dann unter dem neuen Besitzer „zum Dank“ ihrerseits in jene hochverzinsten und hochriskanten Papiere investierte; da wurden in Texas mit den Einlagen gutgläubiger Sparer absurde Landkäufe getätigt, ganze Retortenstädte in die Wüste gesetzt und traumhafte Luxushotels hochgezogen, die selbst theoretisch nicht mehr profitabel sein konnten.

Bis diese Machenschaften im fernen Washington Aufmerksamkeit erregten, verging eine ganze Weile. Und auch als die ersten Anzeichen einer systematischen Plünderung der S&L-Industrie unübersehbar wurden, geschah erst einmal recht wenig. Denn die neuen, schillernden Sparkassen-Entrepreneurs hatten mit dem Geld anderer Leute nicht nur orgiastische Parties geschmissen. Sie hatten dazu auch kräftig eingeladen: vor allem die Aufsichtsbeamten ihrer Industrie und Washingtons Politelite.

Als der rührige Chef der Sparkassenaufsicht Ed Gray die Reagan-Administration auf Unregelmäßigkeiten in der Buchführung zahlreicher S&Ls hinwies, mußte er auf Betreiben von Ronnys Stabschef Don Regan im Juni 1987 seinen Schreibtisch räumen. Auf die Frage, ob er denn mit seinen Spenden von insgesamt 1,4 Millionen D-Mark an fünf Senatoren die einflußreichen Herren für seine „Lincoln Savings“ und gegen die Bankenaufsicht einnehmen wolle, antwortete der Bankensprecher Charles Keating darauf: „Das will ich doch wohl hoffen.“ Lincolns anschließende Pleite wird den Steuerzahler allein 2,5 Milliarden Dollar kosten.

Ein ähnliches, oft mit „Sex, Drugs and Dollars“ geschmiertes Zusammenspiel zwischen rücksichtslosen Sparkassenbesitzern, geldgierigen Politikern, Berufskriminellen und Grundstücksspekulanten spielte sich gleichzeitig in rund der Hälfte der 3.200 Sparkbanken Amerikas ab. In 60 Prozent der 1989 übernommenen S&Ls stellte das FBI Betrügereien fest. Die Chance, das gestohlene Geld wiederzufinden, schätzen die Strafverfolgungsbehörden gering ein. „Eine Menge der Gelder“, so ein entmutigter Fahnder vor dem Bankenausschuß, „ist längst in der Schweiz...“

Die neugeschaffene Resolution Trust Corporation (RTC) ist heute der größte Konkursverwalter, Grundstücksbesitzer, und junk bond-Halter der Welt. Nur daß viele der heute wertlosen Objekte jetzt zu Schleuderpreisen verkauft werden müssen und diese staatliche Verkaufswelle den Einbruch auf dem US -Immobilienmarkt noch verschlimmern wird. Dieser beginnende Preisverfall auf den Immobilien, Öl und junk bond-Märkten war ursprünglich für den Zusammenbruch des kreditfinanzierten Kartenhauses der S&L-Industrie verantwortlich gewesen.

Die wilden 80er oder:

Wo war George?

Nachdem die Bush-Administration den S&L-Skandal seit ihrem Amtsantritt im Januar 1989 systematisch verharmlost hatte, sieht sie sich durch die astronomisch hochschießenden Kosten der Sparkassenzusammenbrüche zum Handeln gezwungen. Doch statt dem „go go banking“ und der „Vodoo-Buchhaltung“ einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben, folgt man jetzt dem Willen des Volkes nach drakonischen Strafen für die Übeltäter mit weißem Kragen. So als sei sie ganz allein für die Pleite verantwortlich, verurteilte ein kalifornischer Richter Anfang Juli eine wegen 22 Bankbetrügereien schuldig gesprochene Sparkassenmanagerin zu einer Haftstrafe von 20 Jahren und 14 Millionen Dollar Wiedergutmachung. Ein paar wildgewordene Kongreßabgeordnete drohten sogar damit, die Todesstrafe für Wirtschaftsverbrecher mit in die Vorlage zum neuen Kriminalgesetz aufzunehmen.

Bei dem Versuch, von der eigenen Mitverantwortung für das S&L-Debakel abzulenken, verhandeln Administration und Kongreß gerade über den neuesten Buchhaltungstrick, wie die zusätzlichen Kosten für die Sanierung des Sparkassensystems aus dem sonst auf 231 Milliarden Dollar ansteigenden Haushaltsdefizit herausgenommen werden können. Strenggenommen müßten an dem Etatvorschlag für 1991 Kürzungen in Höhe von 150 Milliarden vorgenommen werden, damit im Herbst nicht das automatische Haushaltsbegrenzungsgesetz einfach ganze Ministerien und Sozialprogramme schließt.

Während die Demokraten durch den S&L-Skandal den einen oder anderen Kongreßabgeordneten verlieren werden, droht dem Hause Bush ein weitaus größerer Schaden. Da ist nämlich nicht nur Sohnemann Neils peinliche Verwicklung als so naives wie spendierfreudiges Aufsichtsratsmitglied der Pleitekasse „Silverado“. Da ist auch George Bushs schlafmützige Wacht als Vize der Deregulierungskommission für das Bankenwesen, als Mitte der 80er Jahre bereits die ersten Anzeichen kriminellen Kreditverhaltens sichtbar wurden. Falls die bisher desinteressierte US-Presse irgendwann einmal die Geschichte der S&L-Krise rekonstruieren sollte, dann dürfte sich hier die gleiche Frage stellen wie weiland in der Iran-Contra-Affäre: „Wo war eigentlich George Bush?“

Die 80er Jahre hätten für die USA eine Phase der institutionellen und budgetären Konsolidierung bringen müssen. Statt dessen ging die Reagan-Administration in ihrem Rüstungswahn auf Pump in die Vollen und bündelte durch die Deregulierung der S&L-Industrie die kriminellen Energien von Amerikas Elite in einem einmaligen und kollektiven Insider Job (so ein Buchtitel über die S&L-Krise). Im „Great S&L -Swindle“ tanzten so Contra-Agent Oliver North mit junk bond -Gangster Michael Milken zur Liberalisierungspolka der Reagan-Band, während George Bush und der Kongreß, high vom Coke der entfesselten Marktkräfte und besoffen von den Drinks auf Empfängen der Bankenlobby dazu begeistert den Takt klatschten.

Das Abräumen des auf dieser wilden Party der 80er Jahre zerschlagenen Porzellans wird Amerika über die nächsten Dekaden teuer zu stehen kommen. Die einen schätzen 500 Milliarden Dollar, die anderen reden gar von 1,4 Billionen Dollar.

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