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Boeings oder Klopapier: „Wir kaufen“

■ Regierende Mongolische Revolutionäre Volkspartei will „staatlich regulierte freie Marktwirtschaft“

Ulan Bator (afp) - Seit etwa drei Monaten sind Geschäftsleute aller Nationalitäten in den Hotels der mongolischen Hauptstadt Stammgäste geworden. Denn der Wahlslogan der Reformkommunisten, die sich in dieser Woche zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik einer freien Wahl stellen - „wir kaufen und verkaufen alles“ richtet sich keineswegs nur an die zwei Millionen Bewohner des Landes selbst. Der Frühling von Ulan Bator hat die Mongolei, die offiziell immer noch sozialistisch ist, vor allem für westliche Investoren zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten gemacht.

Von der Boeing bis hin zu einer Fabrik für Instantnudeln reicht die Palette der Angebote, die die potentiellen Investoren in die Mongolei mitbringen. Daß alle diese Projekte hier willkommen sind, hat Handelsminister Bavun am Mittwoch wieder mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht. „Wir sind bereit, ohne Einschränkungen mit der ganzen Welt Handelsbeziehungen aufzunehmen, in allen Bereichen, ob es nun um die Erschließung unserer natürlichen Ressourcen geht, um die Viehwirtschaft oder um die Industrialisierung“, sagte er auf einer Pressekonferenz.

Die Kehrtwendung für das Land, das bis vor kurzem zu den Hochburgen des Stalinismus in der Welt zählte, rechtfertigt der Minister mit dem plausiblen Argument, die Zusammenarbeit mit dem Ausland sei „lebensnotwendig für unsere Entwicklung“. Freier Markt ist alles - „Ideologie und Politik spielen von jetzt an keine Rolle mehr“, sagt Bavun. Daß es der Führung in Ulan Bator Ernst ist mit diesem Kurs, läßt sich daran ablesen, daß vom kommenden Jahr an alle Geschäfte in Devisen abgewickelt werden sollen und nicht mehr wie bisher in Rubel. Noch im letzten Jahr betrug der Anteil des früheren Ostblocks am Außenhandel der Mongolei 90 Prozent, mehr als drei Viertel seines Handels trieb das Land mit der Sowjetunion. Diese Bevorzugung der „Bruderländer“ hat jetzt ein Ende, und auch von den bisher üblichen Fünfjahresplänen spricht in der Mongolei niemand mehr.

Die gesetzlichen Grundlagen zur wirtschaftlichen Öffnung des Landes, die der Große Volkshural, das Parlament der Mongolei, am 23. März beschlossen hat, gehen im Vergleich zu den anderen Ländern, die sich in den letzten Monaten vom Sozialismus abgewandt haben, sehr weit. Bestimmungen über sogenannte „Joint-ventures“, Gemeinschaftsunternehmen mongolischer und westlicher Firmen, erlauben die alleinige Übernahme neuer Unternehmen durch westliche Investoren. Die Steuerbefreiungen für solche Firmen sind traumhaft. Die Regierung in Ulan Bator bemüht sich derzeit um einen Beitritt zur Asiatischen Entwicklungsbank und zum Internationalen Währungsfonds. Unterstützt wird das Land dabei von Japan, seinem wichtigsten Handelspartner im Westen.

Südkorea hat im Juni eine Botschaft in der mongolischen Hauptstadt eröffnet - ein Zimmer im obersten Stockwerk des Ulan-Bator-Hotels, eines typischen Baus aus der stalinistischen Ära, der vom Geruch gekochten Hammelfleisches durchzogen ist. Hier steigen die meisten westlichen Handelsdelegationen ab. Die Südkoreaner wollen unter anderem bei Maschinenbauteilen, Toilettenpapier und Druckgeräten ihren Fuß in die Tür bekommen - alles Bereiche, in denen bisher Ungarn dominierender Handelspartner war.

„Die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt“, bestätigt ein Sprecher des Alcatel-Konzerns, der sich für den Aufbau eines Telefonnetzes interessiert. In dem Land zwischen China und der Sowjetunion, das sechsmal so groß ist wie die Bundesrepublik, haben bisher gerade einige hundert Privilegierte einen Telefonanschluß. Auf Telefongespräche ins Ausland wartet man stundenlang. Wenn endlich eine Verbindung zustande kommt, müssen sich die Geschäftsleute, Diplomaten und Funktionäre heiser schreien, um die Nebengeräusche zu übertönen. Das dürfte sich demnächst ändern. Asiasat, eine Gesellschaft aus Hongkong, wird im September erste Versuche mit einem satellitengesteuerten Kommunikationssystem starten.

Auch im Bereich der Verkehrsverbindungen soll es revolutionäre Neuerungen geben. Die wenigen Flüge, die bisher in Ulan Bator starten und landen, verbinden die Hauptstadt ausschließlich mit Peking und Moskau. Züge aus der chinesischen Hauptstadt brauchen annähernd zwei Tage, um die Wüste Gobi zu durchqueren. Im Individualverkehr bewegen sich die meisten Mongolen noch mit Pferden fort - wie zu Zeiten Dschingis Khans vor 700 Jahren. Jetzt führt die Regierung Verhandlungen mit den Fluggesellschaften Cathay Pacific und Singapore Airlines, die einen direkten Linienflugverkehr zwischen Ulan Bator und Singapur aufnehmen wollen. Die veraltete Luftflotte aus sowjetischen Antonows und Tupolews soll durch Boeing-Maschinen ersetzt werden. Wie der Handelsminister mitteilte, sind amerikanische, britische und französische Verkäufer bei den Verhandlungen derzeit gut im Rennen.

Jugoslawische und japanische Firmen errichten derzeit zwei Hotels in Ulan Bator, die internationalen Standards entsprechen werden. Die Japaner werden in drei Jahren im Westen des Landes eine metallverarbeitende Fabrik eröffnen und demnächst auch mit dem Zinkabbau beginnen - bisher ein Monopol der Sowjets. Ein japanischer Elektronikkonzern hat seine Hilfe bei der Herstellung der ersten mongolischen Farbfernseher angeboten. Amerikanische und britische Firmen wollen sich mit der Gewinnung von Erdöl befassen.

Die Liste der geplanten oder begonnenen westlichen Projekte ist endlos. Die regierende Mongolische Revolutionäre Volkspartei nennt das alles „staatlich regulierte freie Marktwirtschaft“. Kommende Woche wird US-Außenminister James Baker nach Ulan Bator kommen, um seine Unterstützung für die mongolische Reformpolitik zu demonstrieren, einen Kooperationsvertrag zu unterzeichnen und über die Zuerkennung der Meistbegünstigungsklausel an die Mongolei zu verhandeln.

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