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■ Mit keiner Handbreit Wasser unter dem Kiel des VEB Fischkombinats Rostock schippert der Treuhand-Betrieb der Pleite entgegen / Gefüllte Schiffsbäuche gegen preiswerte Konserven aus Cuxhaven haben keine Chance / Den Fahrensleuten bleibt nur Frust: Aus dem Westen nichts Neues

Aus Rostock Thomas Worm

Über 3.000 Tonnen Makrele liegen der Jungen Welt schwer im Magen. Sie drücken das Fabrikschiff an der Pier des Rostocker VEB Fischkombinats tief ins Wasser, denn die Fracht im Schiffsbauch ist seit der Rückkehr Ende Mai nicht gelöscht. An Land, das haben Kapitän Helmut Scholz und seine 160 Heimgekehrten mittlerweile feststellen müssen, steht die Welt Kopf.

Obwohl der Treuhand-Betrieb am Rande der Pleite laviert und seinen Fang auf Eis gelegt hat, weil eine Flut preiswerter Fischkonserven aus der Bundesrepublik die eigene Ware aus den Läden drängt, versucht der betriebseigene „Fischwarenverkauf“ ausgerechnet mit Cuxhavener Schlemmerfilet Geld in die leeren Kassen zu spülen. Hilfloser Versuch, gegen den Westen mit seinen eigenen Waffen anzutreten.

Arbeitskampf

aussichtslos

Kaum weniger hilflos wirkte jüngst auch der Warnstreik weit draußen auf See, mit dem die Kombinats-Fischer von 20 Schiffen auf 1.300 Kündigungen noch bis Ende dieses Jahres reagierten. Denn ein richtiger Streik käme der frisch gekürten Arbeitgeberseite gerade recht, die mit „ihrem Betrieb“ seit dem 13.Juli zunftgemäß dem „Verband der Ernährungswirtschaft Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Vorpommern“ angehört. Arbeit gibt es sowieso keine und Lohn bräuchte der Betrieb während eines Streiks nicht zu zahlen. Die Streikkassen Betriebsgewerkschaft ÖTV indes sind leer, ein Arbeitskampf könnte bestenfalls zum kurzen Medienspektakel herhalten. Zwar droht der 54jährige Kapitän Scholz: „Seemänner sind nicht zimperlich“, und wenn die 20 Fangboote mit den erzürnten Hochseefischern im August hier wieder anlegten, müßten die da oben „schnell ihre Türen abschließen“. Doch brauchen die neuen Geschäftsführer der Rostocker Fischfang Reederei GmbH, wie sich der einstige VEB -Stammbetrieb jetzt in kapitaler BRD-Machart nennt, kaum Ernsthaftes zu fürchten. Vielmehr scheint es, als läßt hier einer Dampf ab, der selbst auf der Kündigungsliste steht und sich dabei richtig ohnmächtig fühlt.

„Jetzt gehen wir aus dem Haus, nackt und bloß entmündigt“, empört sich Helmut Scholz, der seit 1954 als Seemann fürs Kombinat die Netze einholt und 25 Jahre lang Schiffe führte. Der „Noch-Kommandant der 3/16“, wie sich der Kapitän der Jungen Welt bezeichnet, erwartet vom Westen nichts Neues. Sein Kapitänspatent wird dort nicht anerkannt. Und in der auf nur elf Schiffe abgespeckten bundesdeutschen „Fischfangunion“ ließe sich ohnehin schwerlich ein unbesetzter Kommandantenplatz finden. Bliebe nur, sich unter Wert anzubieten, und auf einem „Seelenverkäufer“, also auf Schiffen unter Billigflagge anzuheuern. Für den LTO der Jungen Welt, den Leitenden Technischen Offizier Horst Kreller, hieße das nicht nur Abstieg in der Hierarchie - vom 1.Ingenieur zum technischen Inspektor - sondern auch Abstieg unter Deck, um dort rund um die Uhr „im Fisch zu stehen“. Untertarifliche Bezahlung, Bezüge nur für die Zeit auf See, Wegfall jeglicher Sonderleistungen wie zum Beispiel der VEB -Ferienzuschüsse - bei derart eisigen Marktwinden kann der Mann, obwohl bis dato oberster Herr der Kühlanlage seines Schiffes, schon ins Frösteln geraten.

Rasche Sanierung

angestrebt

Einstweilen soll nun ein Abkommen zum Rationalisierungsschutz das Ärgste von den 8.000 Beschäftigten (davon 3.800 bei der Flotte) des Rostocker Stammbetriebes abwenden. Was da zwischen der im Februar neu gewählten Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) und den altfrischen Firmenchefs ausgehandelt wurde, kann „uns die Überbrückungszeit angenehmer gestalten“, bemerkt Kapitän Scholz in ironischer Resignation. Jedenfalls müssen die Belegschaftsvertretungen ihr Ja zum Personalabbau geben, und der ist ein Jahr im voraus anzumelden. Neben Umsetzungsbeihilfen soll eine Abfindungssumme bis 30.000 D -Mark den Kurswechsel des Ex-VEBs ins Auf und Ab der Konjunkturwellen sozial abfedern. Bei alledem geht es - den westlichen Deutschen schnell, schnell - um eine möglichst rasche Kombinatssanierung.

Weil sie von der Eile Schlimmes für die Kollegen befürchten, haben die Rostocker ÖTV-Nordlichter die Langsamkeit neu entdeckt: Sieben Jahre Laufzeit wollten sie in der gemischten BRDDR-Kommission Fischwirtschaft für das Strukturanpassungsprogramm ihrer Fangflotte abtrotzen, bekommen haben sie gemäß Verhandlungsprotokoll maximal zwei. „Für mich ist das eine kritiklose Übernahme bundesdeutscher Interessen“, schimpft BGL-Vizechef (Flotte) Frank Piper über das Aussonderungs-, Modernisierungs- und Verschrottungsprogramm, zu dem die Bundesregierung nur 103 Millionen statt der vom Stammbetrieb beantragten 342 Millionen Mark beisteuert.

Aber hätte die überdimensionierte DDR-Fischfangflotte mit ihrer Gesamttonnage von 130.000 Tonnen denn eine Überlebenschance? Sie wäre in der Lage, die gesamten EG -Quoten alleine abzufischen. Für einen solchen Meeresdinosaurier allerdings, der dazu mit einem Durchschnittsalter der Schiffe von 20 Jahren geradezu ein Fossil ist und ohne Subventionen hoffnungslos unproduktiv, gibt es in der Europäischen Gemeinschaft keinen Platz. Übergangsweise gehen noch Schiffe auf große Fahrt nach Kanada und Namibia. Bis 1992 dann sollen über 80.000 Tonnen Kapazität abgebaut sein.

So sieht das abrupte Ende eines Erwerbszweiges aus, der vergangenes Jahr immerhin noch eine Milliarde umsetzte. Diese Schocktherapie wird sinnbildlich, wenn man beim Schiffsrundgang aus der angenehmen Sommerwärme in die minus 24 Grad kalten Kühlkammern hinabklettert. Hier stapeln sich in Plastikfolie Tonnen über Tonnen von Fisch - an dutzenden Tagen voll Schwerarbeit aus der See geholt, inzwischen nur noch wertloses Zeug. Horst Kreller zieht eine der halbzentnerschweren, gefrorenen Platten hervor. Wenn er einen Kühlzug hätte, einen wie beispielsweise jene „Iglo„ -Laster, die in Rostock-Downtown Geschäfte beliefern, dann würde er, der zum Müßiggang verurteilte Landgänger, Hering, Dorschleber und Kabeljau persönlich ausfahren. Doch die Selbsthilfeappelle der Regierung de Maiziere aus dem fernen Berlin wirken da einigermaßen weltfremd, nahm der Betrieb doch gerade erst einen 10-Millionen-Kredit bei der Deutschen Bank auf, um seinen nötigsten Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. An Investitionen in den Eigenvertrieb ist da nicht zu denken. „Woher soll ich denn wissen, was hier los ist, wenn ich als Präsident auf'm Kudamm einkaufen gehe“, und vor Erregung verfällt der Chemnitzer ins Sächsische.

Schleichende Enteignung

Überhaupt zeigt sich auch im Falle des Fischfangkombinats, daß mit Sanierungsbetrieben, die dem Marktdruck nur dank Kreditinfusionen standhalten, eine schleichende Enteignung vor sich geht. Wenn nämlich schließlich die Deutsche Bank, die mit diskretem Charme hinter hanseatischer Patrizierfassade in Rostocks Zentrum residiert, der Treuhand -Gesellschaft die Rechnung aufmacht, wird Etliches vom Betriebsvermögen mit Schulden belastet sein. Für die angekündigten, aber stets hintangestellten „Volksaktien“, den Anteilsscheinen für die Belegschaft, bliebe wenig.

Besser gehen da vermutlich die alt-neuen GmbH-Führer aus. Ex-Generaldirektor Günter Ubi zum Beispiel, der die Bürde des Parteiabzeichens nach dem November eilfertig ablegte, verdient sich nun als hauptamtlicher Entflechter des Kombinats seine Lorbeeren. Vier GmbHs, in welche sich unter anderem künftig die Teilbereiche Verarbeitung, Reparatur und Wartung sowie die Flotte gliedern, sollen unter dem Dach einer Holding-AG Platz finden. Wie lange werden lukrative Job-Angebote von Westinteressenten für solch einen Mann mit einschlägiger DDR-Erfahrung und erstklassigen Verbindungen wohl noch auf sich warten lassen?

Die Kombinatsbelegschaft unterdessen hat ganz simple Sorgen, Existenzsorgen. 500 Mark Teuerungszuschlag fordert die ÖTV angesichts der horrend gestiegenen DDR-Preise. Für die oberen Gehaltsgruppen über 4.000 Mark gibt es im Rostocker Einsparungsbetrieb jetzt 1.000 Mark weniger, Leute wie der Technische Offizier Kreller müssen sich gar nur mit 980 Mark begnügen. Da tröstet der verwaiste Aushang in einem der ansonsten leeren neuen Schaukästen wenig; er offeriert eine „Ausbildung zum Wirtschafts- und Finanzberater“. Am Dynamo-Sportplatz ist Treffpunkt: Rhetorik, Argumentation, Menschenführung und Beratungsgespräche stehen auf dem Programm. Eine andere Welt ist das, wo das „vmK“ oder „aoK“ der Hochseefischer, „voll mit Kopf“ oder „ausgenommen ohne Kopf“, einen Doppelsinn erhält. Horst Kreller winkt ab - für ihn wäre das nichts. Aber was machen, wenn heutzutage das Rotbarschfilet im HO der Rostocker Innenstadt aus Bremerhaven kommt und die Fischstäbchen aus dem Westen laut Verkäuferin „sofort vergriffen“ sind? Beim Anblick der leergekauften Gefriertruhe kann einen schon das Gefühl des Zuspätgekommenen beschleichen - und die bestraft bekanntlich das Leben.

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