Rückkehr zur Normalität heißt in Sri Lanka Bürgerkrieg

■ Beim Kampf zwischen den tamilischen Befreiungstigern LTTE und den Streitkräften im Nordosten des Landes kamen im vergangenen Monat über 2.000 Menschen ums Leben / Tamilen flüchten vor marodierenden Streitkräften und Singhalesen vor den brutalen Mordanschlägen der LTTE

Von Walter Keller

Ein Jahr dauerte sie: Die brüchige Allianz zwischen den srilankischen Präsidenten Premadasa und den tamilischen „Befreiungstigern“ (LTTE). Nun sind die Friedensverhandlungen, die beide führten, vorbei. Gemeinsame Aversionen gegen die bis März diesen Jahres im Land stationierten indischen Truppen hatten die beiden bisher verfeindeten Lager vorrübergehend zu Freunden werden lassen. Seit Juni wird im Norden und Osten Sri Lankas wieder gekämpft - unerbittlicher als jemals zuvor. Beobachter in Colombo kritisieren sowohl die Regierung als auch die LTTE beide Seiten seien für die erneute Eskalation der Gewalt verantwortlich, der binnen eines Monats mehrere tausend Menschen zum Opfer gefallen sind und erneut Hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht hat. Ein Porträt der LTTE und ihres Führeres Prabakaran:

Es gibt wohl kaum eine andere Person im tamilischen Lager, über die so Kontroverses zu vernehmen ist: Velupillai Prabakaran, genannt „Thamby“, und Führer der „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) sei ein „gewissenloser Mörder“, ein „Diktator“, der, um seine persönlichen Machtambitionen zu verwirklichen, über Leichen gehe. Das meinen die einen. Für andere ist er während der vergangenen Jahre zum Volksheld geworden, versehen mit dem Mythos der Unbesiegbarkeit. Er habe das „tamilische Volk von den Unterdrückern befreit“ - zuerst von den srilankischen, dann von den indischen. Und nun wieder von den srilankischen?

Prabakaran wurde am 26.November 1954 in der nördlichen Stadt Velvettiturai geboren. Seine Familie gehört der Karaiyar-Kaste an. Einer Fischerkaste, die den Küstenstreifen längs der Halbinsel Jaffna im äußerten Norden Sri Lankas dominiert. Lange hat er sich im benachbarten Indien aufgehalten, ehe er Anfang 1987 wieder ganz auf die Jaffna-Halbinsel zurückkehrte, um dort selber den Kampf der LTTE gegen die damals kurz vor einem Sieg stehenden srilankischen Militärverbände zu befehligen. Bis zu seiner Rückkehr hatten ihn viele nur von Fotos gekannt, die in vielen Wohnungen Jaffnas neben Abbildungen von Hindugottheiten oder dem Bild von Mahatma Gandhi hängen. Immer war er pressescheu, hat Ziele und Strategien seiner Organisation lieber durch seinen redegewandteren „Pressesprecher“, Anton Balasingham, verkünden lassen.

Dem Vater von zwei Kindern wird nachgesagt - wie so vieles

-, er habe sich schon zu Jugendzeiten mit den militärischen Strategien Alexanders des Großen, Napoleon Bonapartes und des legendären indischen Freiheitskämpfers Subash Chandra Bose beschäftigt. Um seine politische Ausrichtung ist viel geschrieben und spekuliert worden. So soll er sich angeblich durch eine militärische Ausbildung in Kuba zu einem Freund der Strategie Fidel Castros ehemaliger Guerillabewegung gemausert haben. Für viele war dies Grund genug, ihn zu einem Marxisten zu machen'und die von ihm begründeten „Befreiungstiger“ als marxistisch-orientiert zu bezeichnen. Dies ist genauso Fiktion wie die frühere Behauptung böser Zungen, Prabakaran habe während seiner langen Aufenthalte in Indien zu viele Filme von Clint Eastwood gesehen. Dies allein habe schon ausgereicht, um aus ihm einen waffenschwingenden Revolutionär zu machen.

Erste politische Aktivitäten

Als junger Mann begann er seine politischen Aktivitäten in der „Manavar Peravai“, der Jugendorganisation einer gemäßigten Tamilenpartei, deren Parlamentarismus er aber schon bald nicht mehr folgen wollte. Für ihn setzte sich die Partei nicht konsequent genug für die Wiederherstellung vor allem in Fragen der Vergabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen, der Ausbildung und Jobvergabe sowie beim Recht auf Gebrauch der eigenen Sprache und der politischen Repräsentation im Parlament diskriminiert.

1972 gründete Prabakaran mit Freunden die „Tamil New Tigers“ (TNT). Die kleine Gruppe machte sich jedoch erst einmal daran, durch Diebstähle, Überfälle und Schmuggelaktivitäten die finanzielle Basis für den zu beginnenden Kampf für einen unabhängigen Tamilenstaat auf der Tropeninsel sicherzustellen. Bevor die Hand des Gesetzes Prabakaran ergreifen konnte, hatte sich dieser erstmals über die „Palkstraits“, die schmale, Indien und Sri Lanka trennende Wasserstraße, abgesetzt. Der indische Bundesstaat Tamil Nadu wurde in der Folgezeit zu seiner zweiten Heimat.

Macht- und

Flügelkämpfe

1976 gingen aus den „Tamil New Tigers“ die „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) hervor. Diese neue Gruppierung erhielt vor allem durch die frustrierte tamilische Jugend der Halbinsel Jaffna ihren Zulauf. Prabakaran wurde Kopf eines „Zentralkomitees“ und „Oberbefehlshaber“ über den militärischen Flügel der Bewegung, die jetzt Tamil Eelam, den unabhängigen Tamilenstaat, als Ziel ihrer Aktionen definierte. Die LTTE begann damit, die in den tamilischen Gebieten stationierten staatlichen singhalesischen Streitkräfte durch sogenannte hit-and-run Aktionen zu bekämpfen. Die Regieurngssoldaten, die den Auftrag hatten, die „tamilischen Terroristen auszurotten“, schlugen zurück, trafen jedoch vorwiegend Zivilisten.

Schon bald nach der Gründung der LTTE begann die Zeit interner Macht- und Flügelkämpfe. Diejenigen, die Prabakarans Machtstreben im Wege standen, wurden kurzerhand ausgeschaltet. Andere, die nicht mit der Strategie der LTTE auf dem Weg zum eigenen Tamilenstaat übereinstimmten, wurden ausgebootet. Die Folge war die Fragmentierung der tamilischen Bewegung in zeitweise bis zu dreißig Gruppen und Grüppchen, die ihrerseits oft in der Behandlung der politischen und persönlichen Gegner Prabakaran und der LTTE in nichts nachstanden. „Es darf nur eine tamilische Bewegung geben, und das muß die LTTE sein“, war ab Mitte der achtziger Jahre die Losung Prabakarans, womit die Auseinandersetzungen zwischen den tamilischen Guerillagruppen begannen. Sie erreichten im April 1986 einen ersten traurigen Höhepunkt, als es zur Ermordung von 150 Mitgliedern der „Tamil Eelam Liberation Organisation“ (TELO) durch die LTTE kam. Die TELO war durch ihre militärische Stärke zu einer ernsthaften Konkurrenz für die LTTE geworden. Im Dezember des gleichen Jahres kam es zum nächsten Versuch der LTTE, einer anderen Gruppierung den Garaus zu machen. Diesmal traf es die „Eelam Peoples Revolutionary Liberation Front“ (EPRLF). Was die LTTE 1986 nicht schaffte, gelang dann im Juni 1990: Vierzehn führende Mitglieder der EPRLF, einschließlich ihres Führers Pathmanabha, wurden im südindischen Madras von einem LTTE -Killerkommando kaltblütig ermordet.

Nach den Ausschreitungen

von 1983

Die Rechtfertigungsterminologie der LTTE für Morde an Kritikern und Gegnern hat sich während der vergangenen fünfzehn Jahre nicht verändert: Es sind entweder „antisoziale Elemente“, „Verräter der tamilischen Sache“ oder „indische Agenten“, wie angeblich die beiden führenden Politiker der gemäßigten „Tamil United Liberation Front“ (TULF), Amirthaligam und Yogewaran, die im Juli letzten Jahres ermordet wurden.

Wie bei allen anderen tamilischen Gruppierungen führten die Tamilenpogrome des Sommers 1983 zum raschen Anwachsen der LTTE, die militärisch zur dominanten Guerillaorganisation wurde, ohne dabei ein klares politisches Programm sowie eine Strategie zur Einbeziehung breiter Bevölkerungskreise in ihrem Kampf für einen eigenen Tamilenstaat vorzulegen. „Die Massen blieben nur Zuschauer, wurden allenfalls von der LTTE bei ihren militärischen Aktionen gegen die Streitkräfte als Schutzschild genutzt“, meinen Kritiker.

Nach den Pogromen erhielt die LTTE verstärkte Hilfe aus dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Sie konnte dort auf zahlreiche Stützpunkte zurückgreifen, wo ihre Kämpfer ausgebildet wurden und Unterschlupf fanden. Nicht zuletzt deshalb geriet Indien immer stärker in den innenpolitischen Konflikt Sri Lankas - ab 1984 nahm es eine Vermittlerrolle auf. Bis 1987 ohne Erfolg.

Indo-srilankischer Vertrag

Anfang 1987 kam es zu einer weiteren Verschärfung im Volksgruppenkonflikt, als die srilankische Regierung ihre Truppenverbände auf der nördlichen Halbinsel Jaffna, dem Kerngebiet des angestrebten Tamilenstaates, verstärkte. Die „Operation Liberation“ der srilankischen Streitkräfte stand kurz vor einem militärischen Erfolg, als Indien den damaligen Präsidenten Jayawardene aufforderte, den Feldzug gegen Tamilen zu beenden. Ergebnis der Intervention Rajiv Gandhis war das indisch-srilankische Abkommen von 29.Juli 1987, das die jahrelangen Auseinandersetzungen beenden sollte. Indische Truppen wurden zur Friedenssicherung in den Nord- und Ostgebieten der Insel stationiert. Aber die Ruhe währte nicht lange. Schon im Oktober 1987 kam es zu neuen Kämpfen: Diesmal zwischen der LTTE - die das Abkommen nach anfänglichem Taktieren nicht akzeptierte - und den indischen Truppen, die fortan als Besetzer bezeichnet wurden.

Im Mai 1989 gab Prabakaran, der wegen der Auseinandersetzungen mit den indischen Truppen seit Ende 1987 wieder im Untergrund lebte, Anweisungen, mit der Regierung Premadasa zu verhandeln. Gemeinsame Forderung und damit Basis für die Verhandlungen - der beiden bisher verfeindeten Parteien war der Abzug der indischen Soldaten, deren Stationierung auch im singhalesischen Süden zu großen Kontroversen und zum Erstarken der singhalesisch -chauvinistischen „Janata Vimukthi Peramuna“ (JVP) geführt hatte, die die Regierung Premadasa lange Zeit ernsthaft bedrohte.

Die Zweckallianz zwischen Präsident Premadasa und der LTTE war von Anfang an jedoch zu brüchig, als daß permanente Ruhe zu erwarten war. Nachdem die indischen Truppen im März diesen Jahres Sri Lanka verlassen hatte, wurde die Gangart wieder härter. Obwohl die „Friedensgespräche“ weiter liefen, rüsteten beide Seiten für den Ernstfall, der Mitte Juni dieses Jahres dann eintrat. 80.000 Regierungssoldaten stehen derzeit 15.000 LTTE-Kämpfern (und einigen Kämpferinnen) gegenüber, die meisten von ihnen sind nicht älter als fünfzehn Jahre.