: Täglich Teenager reinlegen
■ In der neuen Popwelle des SFB regiert der Musikcomputer / Ratespiele und wenig kompetente Wortbeiträge bestimmen das Gesicht von Radio 4U
Moderator: „Hallo, Susanne, was hast Du heute bisher gemacht?“
Hörerin: „Nur Radio gehört, sonst nichts weiter.“
Moderator: „Na gut, Du darfst Dir jetzt ein Feld aussuchen.“
Hörerin: „D 2.“ (Jingle: Ja - Nein - Schwarz - Weiß)
Moderator: „Von jetzt an darfst Du also weder ja, nein noch schwarz oder weiß sagen, o.k.? Was ist der Unterschied zwischen Blaubeeren und Johannisbeeren?“
Hörerin: „Weiß ich nicht.“
Moderator: „Schade, Susanne, Du hast 'weiß‘ gesagt, damit bist Du leider draußen.“
Mit klarer Stimme macht Radio-4-U-Moderator Michael Schulz der Hörerin deutlich, daß sie ihm beim Ratespiel auf den Leim gegangen ist, Vier vor Vier, das jeden Nachmittag im Radio 4 U (spricht: Rejdiu for ju) läuft.
Seit Tagen steht die Skala meines Radios nur noch auf 98,2 MHz, der neuen Rock- und Popwelle des SFB 4, denn immerhin will man ja nichts verpassen von der „hippest station in town“, wie ein Jingle verspicht. Das Schöne an diesem Sender ist das permanente Mitmachendürfen; der Hörer/die Hörerin darf sich jederzeit am Programm beteiligen: In Vier zu früh (fünf bis acht Uhr) werden Konzertkarten verlost, in Vier nach Elf (11 bis 14 Uhr) darf man/ frau Kinomusik erraten, Sätze ergänzen oder Songs erkennen, das nennt sich Stopp den Pop. Als Belohnung bekommt man eine LP zugeschickt, allerdings nicht nach eigener Wahl, da muß man schon den SFB-Redakteuren vertrauen, außerdem ein Radio-4-U -T-Shirt (wie originell!).
Und schließlich werden in Kaminski vier (14 bis 17 Uhr) täglich Teenager hereingelegt, siehe obiges Beispiel. Manchmal werden sie auch nach ihrer Einstellung zu besonders kontroversen Themen befragt, wie etwa: „Wie hältst Du es denn mit dem Flirten?“ (was ist denn daran kontrovers?, d. s -in) So manch spannenden Nachmittag habe ich bereits mit Radio 4 U erlebt.
Eines war mir schon vor dem 30.April, dem Start von Radio 4 U, klar: So viel Wort wie im SFBeat wird es auf 4U nicht mehr geben. Im Beat, einer Institution in Berlin, die täglich zwischen 18 und 20 Uhr zu hören war, betrug der Wortanteil noch 50 Prozent. Bei 4U muß ich mich mit 20 Prozent begnügen, und das ist auch nicht verwunderlich, wird doch das gesamte Radio-4-U-Programm - täglich 19 Stunden von der gleichen Mannschaft gemacht, die früher zwei Stunden SFBeat gestaltet hat.
Auf der Pressekonferenz Ende April, auf der Radio 4U vorgestellt wurde, sagte 4-U-Chef Helmut Lehnert, daß sich auch in den Beiträgen ausdrücke, was 4U unverwechselbar mache. Heute, nach fast drei Monaten, frage ich mich, ob das so recht gelingt.
Wenn ein Ü-Wagen-Reporter sich um acht Uhr morgens ans Bett des neugewählten Juso-Vorsitzenden setzt und ihn zur SPD -Politik befragt, hat das seinen Reiz. Guter Einfall! Die Ü -Wagen-Berichte gehören ohnehin zum Hörenswertesten, was diese Welle zu bieten hat: Erinnert sei nur an einen tobenden Rüdiger Landowsky (DU-Landesgeschäftsführer) auf dem Rathenauplatz (Thema: Verkehrspolitik) oder an einen singenden Walter Momper vor seiner Haustür (Thema: Krawalle in Kreuzberg). Wenn allerdings eines schönen Nachmittags in Vier frontal ein Bonner FDP-Politiker zur Wohnungspolitik in Berlin befragt wird, ist das schon weniger reizvoll. „Warum kümmern Sie sich überhaupt um die Berliner Wohnungspolitik?“, fragt kess die Moderatorin, worauf der entnervte Politiker natürlich nichts Gescheites antworten kann. Wie man in den Wald hineinruft...
Ist Radio 4 U nun unverwechselbar? Durch die Wortbeiträge bestimmt nicht. Und die Musik? Da hat Connie alle Zügel in der Hand. Connie ist der Musikcomputer von 4 U, und er bestimmt zum großen Teil den Rhythmus des Programms, zusammen mit zwei Musikredakteuren. Dieser Rhythmus heißt: alles von HipHop bis Soft-Rock. Connie macht manchmal Ärger: Es kann durchaus einmal passieren, daß nach einem Titel von Michael Jackson ein Titel von den Jacksons läuft. (Woher soll Connie wissen, daß das alles eine Familie ist?) Für den Computer zählen nur die „Beats per Minute“ und die Häufigkeit des Titels im Programm. Immerhin: Zweimal wird man/frau einen Song nicht an einem Tag hören. Das freut mich dann doch, bei der Berliner Konkurrenzwelle RIAS 2 muß ich mir My Papa Was A Rolling Stone fünfmal am Tag anhören.
Ist Radio 4 U also durch die Musik unverwechselbar? Auch hier Fehlanzeige: Mal abgesehen davon, daß Bands wie The Smiths oder REM bei 4 U auch tagsüber laufen, könnte ich mich genauso auf einer anderen Welle (etwa RIAS 2) befinden. Der Mut zu Independent-Bands beweist im Berliner Äther einzig und allein noch RADIO 100, der Sender der alternativen Privatfunker.
Ist Radio 4U also entbehrlich? Ein neuer Flop des SFB, der jährlich 2,5 Millionen DM kostet und „30 jungen, aufgeweckten Geschöpfen dieser Stadt“ (Zitat Presse-Info) Lohn und Brot bietet? - Nein. Es gibt Höhepunkte in diesem Programm: beispielsweise die Billboard-Dance-Charts mit Altmeister Barry Graves oder den allsamstäglichen Trashcan -Mix mit Monika Dietl („Ihr hört wieder Movement 98 auf 98,2“). Ob diese Glanzlichter Radio 4U retten können, bleibt anzuwarten. Radio 4U ging vor zwei Monaten in den Äther, aber die Revolution blieb bislang aus.
Michael Meyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen