: Schwarzenegger ist okay
■ Ein Interview mit Paul Verhoeven
Von Gunter Göckenjan
Paul Verhoeven ist 1938 in Amsterdam geboren. Hat Mathematik und Physik studiert, mit Abschluß. Arbeitete im Anschluß daran als Lehrer und später als Dokumentarfilmer für die niederländische Marine. Seinen ersten Spielfilm, „Türkische Früchte“, drehte er 1973. Er wurde als bester ausländischer Film für den Oskar nominiert und gilt auch heute noch als Kultfilm über die sexuelle Revolution. Kommentar des „Lexikon des Internationalen Films“ (herausgegeben vom Katholischen Institut für Medieninformation etc.): „Eine nicht unbegabt inszenierte, oft schockierende, streckenweise ekelerregende Mischung aus krassem Sex, genüßlichem Sadismus und Melodramatik...„
Weitere holländische Produktionen: „Das Mädchen Keetje Tippel“ (1974), „Soldiers“ (1977), „Spetters“ (1980) und „Der vierte Mann“ (1983). „Flesh and Blood“ (1985) war sein erster Hollywood-Film und der nächste, „Robocop“, sein erster amerikanischer Erfolg.
Gunter Göckenjan: „Totale Erinnerung“ ist Ihr dritter amerikanischer Film. Warum Amerika?
Paul Verhoeven: In Europa kann man ohne Regierungssubventionen kaum Filme machen. Zu Beginn meiner Regiearbeit wurde die Vergabe der Gelder von einem rechtsliberalen Gremium entschieden, das sich nur darum kümmerte, ob ein Film ein Publikum finden kann oder nicht. Meine Filme waren erfolgreich, also bekam ich Geld. Später dann wurde die Situation für mich immer schwieriger, weil das Gremium nun mit linken Politikern besetzt war. Die fanden meine Drehbücher zu dekadent, zu sexuell oder zu gewalttätig. Die hatten Kriterien wie kulturelle, künstlerische oder politische Relevanz und die machten zensurähnliche Änderungsauflagen. Deshalb habe ich die Niederlande verlassen.
Sie gehören zu den wenigen europäischen Regisseuren, die auch Erfolg in Amerika haben.
Leute wie Wenders oder Schlöndorff dachten scheinbar, daß sie in Amerika die gleichen Filme machen könnten wie in Europa. Ich glaube nicht, daß das möglich ist. Wenn man in Amerika erfolgreich sein will, muß man ein bißchen anders arbeiten. Auch meine holländischen Filme waren eher Mainstream, sie hatten amerikanisches Editing und Rhythmus.
Haben Sie Kompromisse machen müssen, um in Amerika zu arbeiten?
Ich empfinde es nicht so. Da ich die Schwierigkeiten kannte, die viele europäische Regisseure in Amerika hatten, nahm ich mir vor, nicht allzu persönliche Filme zu machen. Vielleicht finden Sie, daß Projekte wie Robocop oder Die totale Erinnerung Kompromisse in sich selbst sind, aber in meine Arbeit hat mir hier niemand reingeredet.
In den siebziger Jahren haben sie erotische Filme gemacht, die letzten sind sehr blutig und gewaltsam. Glauben Sie, daß Gewalt der Ausdruck der Achtziger und Neunziger ist?
Die sexuellen Freiheiten der sechziger und siebziger Jahre scheinen verlorene Paradiese zu sein. Vielleicht führt das Gefühl unterdrückter Sexualität zur Gewalttätigkeit.
Macht es Ihnen Spaß, zu provozieren?
Ja. Meine europäischen Filme waren sexuell provokativ, die amerikanischen sind es auf der Gewaltebene. Als ich meinem Produzenten meinen ersten Film vorschlug, sagte der: Das hat noch niemand gemacht und man sollte es auch nicht machen, also machen wir es.
Was haben Sie von der Provokation?
Es macht Spaß zu sehen, wie die Zuschauer die Arme vor die Augen halten und Nein, Nein! schreien, aber vor allem ist es das intellektuelle Vergnügen der Vorstellung und Herstellung. Man darf nicht vergessen, daß es sich im Kino nur um imaginierte Gewalt handelt.
Es gibt 74 Tote in „Die totale Erinnerung“...
Ich habe selbst nachgezählt und war erschrocken, wie viele Personen ich gekillt habe, aber es passiert doch auf sehr abstrakte Weise. Wenn Sie beiStar Wars zählen würden, kämen Sie auf eine sehr viel höhere Zahl. Die Leute werden dort nur durch sauberwirkende Laserstrahlen getötet. Bei mir, und auch bei Sam Peckinpah, fließen Blutströme. So sehr, daß ich manchmal lachen mußte. Ich wollte übertreiben. In Robocop war diese Comicheft-Gewalt noch stärker.
Fasziniert Sie die Idee einer Erinnerungs- und Identitätsmanipulation, die der Story zugrunde liegt?
Das hat viel mit meiner Angst vor dem Verlust des Realitätsbezugs zu tun, einer Angst vor Schizophrenie und Paranoia. Ich setze meine Furcht, daß die Realität nicht konsistent sein könnte, in diesem Film ein.
Ihr Film läßt offen, ob die Action-Erlebnisse nur imaginäre Traumhandlung oder „Realität“ sind.
Wenn man den Film ein zweites Mal sieht, erkennt man den Umschlag in die Erinnerungsebene. Der Typ von dem Reisebüro für Mind Trips verkauft ihm Versprechungen, die alle eintreffen: du wirst Geheimagent, man versucht dich zu töten, du triffst eine Frau und bevor die Reise zu Ende ist, hast du die Bösen ermordet, das Mädchen gekriegt und den ganzen Planeten gerettet, genau das ist der ganze Film. Ich habe das realistisch in Szene gesetzt, weil ich Filme hasse, die allzu unmißverständlich zeigen: dies ist nur ein Traum. Mich interessiert die Unsicherheit.
Ist Schwarzenegger ein guter Schauspieler?
Nein, aber er ist okay.
Was halten sie vom dem tough guy?
Arnold zieht eine Menge Bestätigung aus seiner körperlichen Erscheinung. Aber in der Realität ist er nicht der Machotyp, für den ihn viele halten. Er ist nett, naiv und überhaupt nicht langweilig. Er hat mich einmal gefragt, was Poesie ist. Während ich es ihm erklärte, hat er sich Notizen gemacht und ich bin sicher, daß er sich dann zu Hause weiter damit beschäftigt (vielleicht sollte Herr Schwarzenegger noch jemand anderen fragen, d.S.). Mir gefällt seine Fähigkeit, sich selbst zu bilden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen