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Ehrenrettung für die Sexarbeiterin

■ Als Standardwerk für Prostituiertenrechte wird es gepriesen. Leider enttäuscht „Huren-Stigma“ die Erwartungen

„Egal, was frau macht, falsch ist es eh! Heilige oder Hure.“ So steht es ebenso programmatisch wie irritierend im (deutschen) Vorwort eines Buches, das Prostituierten „eine Stimme verleihen, ihr Leben realistisch darstellen und das Stigma, das sie zum Schweigen bringt, analysieren“ soll. Eine Art Standardwerk zum Thema Prostituiertenrechte hat sich die Amerikanerin Gail Pheterson, Frauenforscherin und Psychologin, da vorgenommen. Pheterson, Vorsitzende des „Internationalen Komitees für Prostituiertenrechte“, hat ihr Werk als populärwissenschaftliche Abhandlung konzipiert und in zwei Themenbereiche untergliedert. Erster umfaßt Lebens und Berufsrealität von Prostituierten, der zweite behandelt die allgemeine Stigmatisierung von Frauen als Huren. Der unglücklich gewählte deutsche Untertitel Wie man aus Frauen Huren macht, der sich wohl an das feministische Bewußtsein der Käuferinnen richtet, weckt allerdings falsche Erwartungen. Denn die Autorin richtet sich ausdrücklich gegen die Wahrnehmung von Huren als Opfer. Außerdem geht es in diesem Buch nicht nur um Frauen, sondern auch um die an dem Geschäft beteiligten Männer. Der englische Originaltitel Weibliche Unehre und männliche Unwürdigkeit (Female Dishonor and Male Unworthiness) ist tatsächlich stimmiger.

Im ersten Teil ihrer Untersuchung beleuchtet die Autorin den Erwerbszweig Prostitution. Als „wissenschaftliche“ Grundlage dient ihr dabei die lexikalische Definition der Begriffe „Prostitution“ und „sich prostituieren“, wobei sie „Hure“ und „Prostituierte“ synonym verwendet. Doch dann schlägt sie einen höchst unwissenschaftlichen Purzelbaum und beweist, daß Prostituierte eben doch keine Huren seien, da sie dem Bild, das „man landläufig“ von ihnen hat, nicht entsprechen.

So geht sie hart mit den „progressiven Ideologien“ wie etwa dem Sozialismus und dem Feminismus ins Gericht, denn: „Frauen, die Selbstbestimmung als Prostituierte fordern, verlieren den Opferstatus und die ideologische Unterstützung... die Hure wird entweder als ein Opfer des Systems oder als Kollaborateurin des Systems eingestuft. Auf jeden Fall wird sie nicht als Verbündete im Kampf um das Überleben und die Befreiung angesehen.“

Aufschlußreicher als Phetersons Thesen sind die zitierten Äußerungen der Prostituierten selbst: zum Beispiel die Aufzählung wünschenswerter Arbeitsbedingungen: Da steht an erster Stelle die freie Wahl des Kunden, dann das Recht, ihr Geld zu geben, wem sie wollen, und zusammenzuleben, mit wem sie wollen. An dieser Stelle kommt die Rolle der Männer, ob als Freier oder als Zuhälter, ins Spiel und erweist sich also genauso komplex und von Vorurteilen behaftet wie die der Prostituierten selbst. Die „Unwürdigkeit“ der Männer und die „Unehre“ der Frauen sieht Pheterson eng miteinander verknüpft und stellt dem gesellschaftlichen Ehrbegriff die Auffassung von „Berufsehre“ einer Prostituierten aus San Francisco gegenüber: “... Billig ist, wenn du nicht das Vergnügen, ein Kind oder einhundert Dollar willst... - du nein sagen lernst. Billig ist, wenn Du es tust, um Bestätigung, Freundschaft, Liebe zu gewinnen.“ Die Schlußfolgerung der Autorin aus dem ersten Teil der Untersuchung ist von pragmatischer Einfachheit: Sie fordert die Einführung neutraler Begriffe wie „Sexarbeiterin“. Dadurch soll die Ehre derselben unangetastet bleiben. Es ist dies eine ähnliche Sprachregelung wie der orthographische Trick mit dem großen I: fragwürdig und überhaupt keine Lösung.

Zum Teil zwei: Sind alle Frauen Huren? Das - so viel ist aus vorangegangener Lektüre deutlich geworden - ist eine Definitionsfrage. Ist eine Hure eine wertneutrale Sexarbeiterin, dann ist die Frage mit Nein zu beantworten. Ist Hure ein lexikalisches Synonym für Prostituierte? Ebenfalls nein. Doch nach Pheterson können alle Frauen als „Huren“ stigmatisiert werden. Zum Beweis für die unbestreitbare Tatsache, daß Frauen aus den verschiedensten Gründen zu Huren gestempelt werden, verfolgt Pheterson gelegentlich Irrwege, die haarscharf am baren Unsinn vorbeiführen: „Männliche Arbeiter stellt man üblicherweise wegen ihrer Muskelkraft und nicht wegen ihrer Intelligenz ein und Arbeiterinnen wegen ihres Äußeren und nicht wegen ihrer Leistung.“ Oder sie behauptet, in der Schweiz und in Holland seien „Frauen weitgehend vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen“!

Allzu oft wird in Hurenstigma behauptet anstatt argumentiert, gepredigt statt ausgeführt. Pheterson hätte besser daran getan, die Worte der Prostituierten für sich stehen zu lassen. Das Ergebnis hätte sicherlich mehr überzeugt.

Katharina Döbler

Gail Pheterson: Huren-Stigma. Wie man aus Frauen Huren macht. Verlag am Galgenberg, 1990.

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