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Quotenopfern in die Seele geschaut

■ Der weibliche Voyeurismus wird aufs Schönste befriedigt: Was halten große und kleine Promis so ganz privat von der Quote? Mit lässiger Ironie kommentieren Ursel Sieber und Bernd Ulrich die „Nöte“ ihrer Interviewpartner

Quote, Quotierung, Frauenförderung - sind das nicht Themen, die uns nur noch ein Gähnen entlocken? Bilder von entsetzlich zähen und versteckt-aggressiven Diskussionen um die Besetzung von Stellen und Listenplätzen entstehen vor dem inneren Auge - da wenden wir uns lieber spannenderen und erfreulicheren Themen zu. Die Texte zum Thema Quotierung waren entsprechend langweilig, in mühsam kaschiertem Bürokraten-Deutsch und häufig moralisierend. Der Klageton wurde angestimmt über die, ach, so geschickt lavierenden Männer, die partout nichts abgeben wollen von ihrer Macht.

Mit ihrem Buch Der quotierte Mann haben Ursel Sieber und Bernd Ulrich nun einen phantasievollen und amüsanten Zugang zu diesem alten Thema gefunden. In intensiven Interviews befragten sie diejenigen zu Frauenpolitik und zur Quote, die sich da so gerne zurückziehen: die Männer. Von prominenten und weniger prominenten Männern aus Politik und Gesellschaft wollten sie die politische Einstellung zur Quotierung wissen, vor allem aber interessierte sie ihr persönliches Verhalten in Partei und Privatleben. Politikern, denen das Wort „Gleichberechtigung“ sonst so leicht und so schnell über die Lippen kommt, gerieten da in mancherlei Zwickmühlen. Die AutorInnen, die ihre Interviews zu kompakten Features verdichteten, kommentieren das mit lässiger Ironie.

Da ist beispielsweise Volker Hauff, graumelierter und gut aussehender Oberbürgermeister von Frankfurt/Main; im Kabinett von Helmut Schmidt war er Minister für Forschung und Technologie. Eloquent und wohlinformiert spricht er über die Diskriminierung der Frauen, deutet sogar an, daß seine Ehefrau Uschi Hauff berufliche Nachteile zugunsten seiner Karriere in Kauf nahm. Volker Hauff hat Theweleits Orpheus und Eurydike, das Buch wider den genialen, die Frauen ausbeutenden, tötenden Künstler-Mann gelesen und für den 'Spiegel‘ rezensiert. Gerne würde Hauff auf dieser leicht mystischen Ebene über das Mann-Frau-Verhältnis sprechen. Aber da stellen Ursel Sieber und Bernd Ulrich penetrant die Fragen, die sich sonst nur Frauen gefallen lassen müssen. Wann hat er Zeit für seine Kinder? Kommt Teilzeitarbeit für ihn in Frage? Wie wäre es mit einer Karrierepause zugunsten der Familie? Schließlich fällt Volker Hauff doch noch ein konkreter Beitrag zur Erziehung seiner Kinder ein: Immerhin, er habe sie meistens morgens zum Kindergarten oder zur Schule gefahren. Ansonsten erzog er - das schließen wir aus seinen dürftigen Äußerungen zum Thema - seine Kinder durch Abwesenheit.

Nach längeren Recherchen unterschieden Ursel Sieber und Bernd Ulrich zwischen verschiedenen „Typen“ von Quotenmännern. Volker Hauff und Joschka Fischer etwa sind Männer jenseits der Quotierung - sie sind so erfolgreich, daß sie auch noch gewählt werden, wenn die Konkurrenz durch Frauen stärker wird. Dann gibt es Männer vor der Quotierung

-das sind die schlimmsten. Sie haben keine Erfahrung mit der Quote, dafür aber um so mehr Angst. Sie fuchteln mit dem Grundgesetz und finden sich dabei besonders mutig.

Trotz intensiver Suche war eine Spezies des Quotenmannes jedoch nicht aufzutreiben: das Quotierungsopfer. Droht vor jedem Quotierungsbeschluß das Ende des Herrenlandes und der Ausbruch der totalen Frauenmacht, so fand sich danach kein einziges Opfer. Die AutorInnen fanden das verdächtig und entdeckten, wie schmählich die Niederlage gegen eine Frau für einen Mann ist. Keinesfall kann er sie - wie gegen einen männlichen Konkurrenten - offen zugeben. „In informierter Willkür“ erklärten deshalb Ursel Sieber und Bernd Ulrich einige Männer zu Quotenopfern. Einer von ihnen: Udo Knapp, der als „Vordenker“ der Grünen Realos gilt. Seine erfolglosen Bewerbungen auf diverse Grüne Posten führen die AutorInnen auf die Quotenregelung bei den Grünen zurück den konkreten Nachweis darüber führen sie jedoch nicht. Vermutlich hebt eine 50-Prozent-Quote allgemein die Qualitätsanforderungen an die Qualifikation der männlichen Bewerber. Wenn die Quote dafür sorgt, daß nicht mehr quasi automatisch jeder Faselhans mit Platzhirsch-Attitüde einen Posten bekommt - so wie in den seligen Zeiten des SDS -, müßte sie eigentlich im Rahmen einer Qualifizierungsoffensive in Politik und Wirtschaft schnellstens eingeführt werden. Und auch Udo Knapp, würde er statt immer nur vordenken etwas mehr nachdenken, bekäme sicherlich schnell einen attraktiven Posten.

Eindeutig als Quotenopfer zu identifizieren ist dagegen der Jurist Wolfgang Schomburg. Er saß im Schattenkabinett von Walter Momper und war für das Amt des Justizsenators bestimmt - bis Momper nach seinem überraschenden Wahlsieg auf die Idee kam, seinen Senat zu quotieren. Nun sitzt auf diesem Posten die Jura-Professorin Jutta Limbach, die sich bis dahin in der SPD kaum profiliert hatte. Schomburg wurde nur die Nummer zwei, ihr Staatssekretär. „Nach erstem Schlucken“ habe er das sogar „als positives Zeichen gesehen“, sagt er heute. Zum erstenmal in seinem Leben arbeitet der frühere Oberstaatsanwalt jetzt unter einer Frau. Von den AutorInnen hartnäckig und direkt angesprochen, fällt auch dem Sozi schließlich ein gewisser Widerspruch auf: „Man akzeptiert und findet es auch politisch richtig, daß in meinem Ressort eine Frau in die Führungsposition gekommen ist, die diese auch hervorragend bekleidet. Da ist es schon ein gewisser Zwiespalt, wenn die eigene berufstätige Ehefrau zurückstehen muß. Die logische Konsequenz der Entwicklung muß sein, daß auch Männer sich für Haus- und Familienarbeit entscheiden und das durchaus auch als angenehme Aufgabe betrachten.“

Er selbst fand diese Arbeit nicht so angenehm. Joschka Fischer sagt ohne Umschweife, worum es dabei geht: „Wenn Joschka Fischer tatsächlich Ernst machen würde mit der Aufteilung der Kinder und der Alltagsarbeit, wäre er binnen kürzester Zeit nur noch in einem Gemeindeparlament politikfähig.“ Eine Karriere verlangt fast uneingeschränkte zeitliche Verfügbarkeit - denn in der Politik ist man entweder ganz drinnen oder ganz draußen. Aber nicht einmal auf den Vorschlag, sich zumindest Gedanken zu machen über eine Aufteilung ihres 70 Stunden-Jobs, lassen sich diese Karrieremänner ein. Denn ihre Arbeit bringt ihnen Macht, Publicity und Geld - all das, was in der westlichen Welt zählt und was mit Hausarbeit nicht zu bekommen ist.

Das Buch ist interessant bis zum Schluß - denn da konnten sich Bernd Ulrich und Ursel Sieber nicht auf ein gemeinsames Schlußwort einigen. Bernd Ulrich proklamiert mit etwas gestelzt wirkender Euphorie den - zumindest moralischen Sieg der Frauen. Die Interviewpartner hätten vor ihnen gesessen wie vor dem Jüngsten Gericht. Der quotierte Mann müsse die Gleichberechtigung leben - oder sie über sich ergehen lassen. Mag bei dieser Einschätzung das Wunschdenken des Autors eine gewisse Rolle gespielt haben, so hat er doch einen genauen und sensiblen Blick für die Auseinandersetzungen zwischen Frauen und Männern. Frauen machten es „der trägen Masse Mann“ immer wieder leicht, weil sie „ganz praktisch an ihrem Unvermögen leiden, was sie lieben, nicht bekämpfen zu können“. Dieses Frauen-Leiden verschwinde auch nicht plötzlich, wenn frau es durchschaut habe, weil es „ein Leiden im Herzen“ sei. Daraus, so Bernd Ulrich, resultiere auch ein Fehler im „Geschlechterkampf“: die Heuchelei, Männer öffentlich so fundamental zu kritisieren, daß frau sie privat eigentlich kein bißchen lieben dürfte. Das sei wenig glaubhaft, und der Mann erkenne immer die Schwäche jedweden Gegners.

Aber was resultiert aus dieser Analyse? Welche neuen Strategien könnten Frauen wählen? Die Zeiten, in denen Männer fundamental kritisiert wurden, sind doch schon wieder vorbei. Das sozialdemokratische Modell „Partnerschaft“ hat sich weitgehend durchgesetzt - ob mit mehr Erfolg, bleibt abzuwarten.

Ein insgesamt pessimistisches Resümee zieht Ursel Sieber in ihrem Schlußwort. Denn sie analysiert, welche praktische Bedeutung die Quote für die Mehrzahl der Frauen hat. Fast keine: Die Quote gibt es „vor allem dort, wo die Scheinwerfer hinleuchten, in der Politik“. Die Frauen bei den Grünen und in der SPD haben deutlich bessere Chancen, und auch die Frauen in den Gewerkschaften und in der CDU erobern sich mehr Vorstandsposten, wenn sie mit der Quote drohen. Aber sonst? Die Quote ist in der sogenannten privaten Wirtschaft ein Tabu, und im Öffentlichen Dienst sind die Tagungen, Papiere und Selbstverpflichtungen zur Frauenförderung ein gefälliges Ritual.

Offensichtlich hat die Autorin bei der Arbeit zu diesem Buch die Erfahrung gemacht, daß Männer und Frauen nur schlecht miteinander reden können. Sie zitiert Christa Wolf: Männer und Frauen leben auf verschiedenen Planeten. Für Ursel Sieber entscheidet über die Zukunft der Quote, ob es Frauen gelingt, „eine Kollektivität und damit auch eine Solidarität jenseits der Erfahrung gemeinsamer Unterdrückung aufzubauen. Warum sollen sich Frauen nicht auch vornehmen, zu 'bündeln‘ und das formale Quotengerüst durch Seilschaften aufzufüllen“.

Aber dafür müßte die Quote erstmal auf breiter Ebene durchgesetzt werden: In den Rundfunkanstalten, in der Verwaltung genauso wie in der Montagehalle. „Bündeln“ müssen die Frauen also um so dringender - gerade weil es das „Quotengerüst“ nur bei den Grünen und im Niedrig-Lohn -Alternativ-Betrieb gibt.

Gunhild Schöller

Ursel Sieber, Bernd Ulrich: Der quotierte Mann. Rotbuch Verlag, Berlin, 15 DM

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