piwik no script img

Frankfurt: „Giftmischer“ bleiben straffrei

Frankfurt/Main (taz) - Im sogenannten „Holzschutzmittelverfahren“ hat die Umweltschutzkammer des Landgerichts Frankfurt/Main die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Der ursächliche Nachweis von Holzschutzmittelanwendung und Erkrankung sei nicht führbar. Dieser überraschende Beschluß wurde gestern veröffentlicht.

Die Staatsanwaltschaft hatte nach über fünfjährigen Ermittlungen im Juli 1989 Anklage gegen einen ehemaligen und zwei derzeitige Geschäftsführer zweier Holzschutzmittelfabriken erhoben. Ihnen wurden zahlreiche Körperverletzungsdelikte sowie schwere Gefährdung durch die Freisetzung von Giften in der Zeit von 1969 bis heute vorgeworfen. Die schweren Erkrankungen von zumindest 168 Verbrauchern sei, so die Staatsanwaltschaft damals, nachweislich auf die Anwendung von Holzschutzmitteln im Innenraum zurückzuführen. Die giftigen Inhaltsstoffe insbesondere Pentachlorphenol (PCP) und Lindan - seien jahrelang aus dem Holz ausgetreten und hätten zu Beeinträchtigungen von Zellstoffwechsel, Nervenfunktionen und des Gehirns geführt. Durch das Freisetzen dieser Gifte bestand in 15 Fällen Todesgefahr, 7 Geschädigte hätten Selbstmord verübt. In anderen Fällen habe die Gefahr von Geisteskrankheit bestanden. Oberstaatsanwalt Jochen Schroers ging sogar von einer Dunkelziffer von mehreren hunderttausend zum Teil schwer Geschädigten aus.

Mit ihrem Beschluß weist die 26. Strafkammer einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Holzschutzmittelgebrauch und Erkrankung zurück: es gebe keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg dafür, der Beweis einer Körperverletzung sei vor Gericht deshalb nicht zweifelsfrei zu führen. Der Straftatbestand der „Freisetzung von Giften“ (§ 330a StGB) sei nicht erfüllt, weil die giftigen Stoffe nicht unkontrolliert freigesetzt wurden. Nach dem Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ sei die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen gewesen.

Die Verbraucher-Initiative sprach gestern von einem „unglaublichen Justizskandal“. Der Bundesvorsitzende Gerd Billen: „Die Täter im größten deutschen Umweltskandal sollen straffrei ausgehen, obwohl sie Tausende von Verbrauchern wissentlich vergiftet haben.“ Und weiter: „In einem Land, wo Bürger wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis gesteckt werden, sollen Giftmischer, die über Jahre mit erheblicher krimineller Energie Tausende Verbraucher wissentlich vergiftet haben, straffrei ausgehen.“

M.B.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen