: Analyse im Salon
■ Tanzprojekt aus Berlin/Budapest eröffnet den „Tanz im August“
Der Choreograph Rhys Martin, ehemals Mitarbeiter von Reinhild Hoffmann, vereinigte zwei kurze Stücke Anna und Anima, die Anfang der achtziger Jahre entstanden waren, mit der Uraufführung des Tanztheaters Narziß zu einem Bilderreigen der Besessenheit. Wäre nicht ausgerechnet der frischgebackene Narziß, das Drama von der mörderischen Selbstbespiegelung, in eine nicht enden wollende Revue der ritualisierten Gesellschaftsspiele und der Posen ausgeartet, es wäre ein vergnüglicher Abend der Psychoanalyse im Salon geworden.
Anna wird von ihren Geistern gehetzt. Mit Mitteln des Tanzes und des gestischen Theaters inszeniert Martin bedrängende Bilder der Berührungs- und Verfolgungsangst, die schnell deutlich werden lassen, daß Anna ihre Peiniger aus ihren eigenen Phantasien gebiert. Die Knie zusammengedrückt, den Körper zum S verbogen, eine Hand auf das Geschlecht gepreßt und mit der anderen Hand den Kopf am Oberkiefer nach hinten zerrend, als sollte der böse Geist aus der Mundhöhle herausfahren, markieren die Tänzer den Aufstieg und die Verdrängung der quälenden Visionen. Das kurze Tanzdrama erzählt die Geschichte ihres Exorzismus. Annas Geister fallen wie Hitchcocks Vögel über sie her und marschieren in einer Reihe auf sie zu. Erst als Anna sich nicht mehr vor ihnen fürchtet, werden sie machtlos und brechen klagend zusammen. Da nimmt sie sich der nun domestizierten Teile ihrer selbst an, kleidet sie tröstend in getupfte Kinderkleidchen und zieht mit dieser geradezu absurd harmlosen Schar davon.
In dieser poetischen und auch naiven Dramatisierung und Bebilderung inneren Geschehens liegt die Stärke von Rhys Martin. So schlüpft in Anima aus dem geschwollenen Bauch eines sich in Kraftmeiergesten erschöpfenden Mannes eine Frau hervor, die die Rolle seines Spiegelbildes übernimmt, bis seine muskelrollenden Gesten in die Karikatur kippen. Vom Studium der Posen der Selbstdarstellung zehrt auch Narziß; doch was für die Miniaturen ausreicht, ermüdet im langen Stück. Jeder Paartanz endet im Zweikampf; jede versuchte Berührung stößt auf aggressive Abwehr; das narzißtische Subjekt kennt nur die Demütigung des anderen.
Gemäß dem Anspruch der internationalen Zusammenarbeit in der Tanzwerkstatt begann die diesjährige Aufführungsreihe Tanz im August mit dieser Koproduktion aus Berlin und Budapest. Die vier Tänzerinnen und zwei Tänzer unterschiedlichster Herkunft fanden in einem karikierenden Stil zusammen. Übertriebene schauspielerische Etüden, nonchalante und exaltierte Gesten, Posen von Coolneß und Leidenschaft bilden die Quellen der tänzerisch stilisierten Bewegungen. Hinter jeder zufälligen, lockeren Form wittert man die angestrengte Nachahmung eines Idols. Die klassische Form der erhobenen Arme, die den Kopf wie einen Blumenkranz einrahmen sollen, mutiert mit abgeknickten Fäusten zum Muskeldemonstrationsspiel des Bodybuilding. Tanz wird reduziert auf einen Spiegel des Jahrmarkts der Eitelkeiten.
Katrin Bettina Müller
Tanztheaterprojekt Anna, Anima & Narziß, heute um 20 Uhr 30 im Hebbel-Theater.
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