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Dem „Vater der Allwissenheit“ glaubt keiner mehr

■ Unter dem Regime von Siad Barre hat Somalia abgewirtschaftet / Der ehemalige Revolutionär versucht sich mit militärischer Gewalt an der Macht zu halten / Zusammenbruch der Wirtschaft / Die bewaffnete Opposition ist im ganzen Land aktiv / Auch in der Hauptstadt Anzeichen von Unruhe

Von Wolfgang Carbon

„Somalia? Ach ja, da unten am Horn von Afrika. Da war doch mal eine Geiselbefreiung von der GSG9 in Mogadischu.“ - Das ist in der Regel alles, was man hier über dieses Land weiß. Und das ist auch ganz gut so für das diktatorische Regime von Somalia, das noch immer von westlichen Ländern, vor allem von Italien und den USA unterstützt wird. Die BRD beispielsweise leistet traditionell „Hilfe“ für die Polizei.

1977, zur Zeit der „Helden von Mogadischu“, genoß der somalische Präsident Siad Barre hohes Ansehen in der BRD. Und da er zur gleichen Zeit Krieg gegen das marxistische Äthiopien führen ließ, versorgten ihn die USA großzügig mit Waffen. An den Zuständen in Somalia war niemand interessiert.

Siad Barre ergriff am 21.Oktober 1969 in einem Militärputsch gegen die Zivilregierung die Macht, als Mitglied eines 25köpfigen „Revolutionsrats“, der sich den Kampf gegen Korruption, Hunger, Krankheit und Unwissenheit auf die Fahnen geschrieben hatte. Der wissenschaftliche Sozialismus sollte dafür die Rezepte liefern.

In den ersten Jahren gelang es der neuen Regierung auch tatsächlich, die Bevölkerung für ihr Programm zu mobilisieren und beeindruckende Erfolge zu erzielen. Die Dürreperiode 1974 machte jedoch alle Anstrengungen zunichte. Rufe nach einem „starken Mann“, der die beginnende Krise abwenden sollte, wurden laut. So wurde im Juli 1976 die „Revolutionäre Sozialistische Partei Somalias“ gegründet, die Somalia in einen klassischen Einparteienstaat umwandelte. Alleinherrscher in Staat und Partei wurde Mohammed Siad Barre.

Bald nannte man ihn „Guulwadow Siyaad Abahii Garashada“ „Siegreicher Führer Siad, Vater der Allwissenheit“, und ein Lied mit diesem Text mußte täglich in Schulen, Arbeitsstätten und auf jeder Versammlung als Nationalhymne gesungen werden. Die Mitstreiter von 1969 wurden ausgeschaltet. Absolute Loyalität gegenüber dem „Siegreichen Führer“ wurde zum Kriterium für die Vergabe von Posten. Mit der Wirtschaft des Landes ging es bergab.

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung waren in Somalia eigentlich besser als in vielen anderen afrikanischen Staaten. Als einziger Staat in Afrika ist Somalia kein Vielvölkerstaat. Es gibt eine gemeinsame Sprache, Kultur und Religion. Doch unter dieser vermeintlich homogenen Oberfläche existiert ein kompliziertes Netz von Beziehungen zwischen Familien, Stämmen und Klans. Ihnen gehört die eigentliche Loyalität der Somali.

So bevorzugte auch Barre seinen eigenen Stamm, die Marehan. Heute sind fast alle wichtige Positionen in Staat, Militär und Verwaltung von Mitgliedern seines Stammes besetzt. Dies spaltete die somalische Nation in Marehans und Nicht -Marehans. Barre war sich dieser Gefahr bewußt. Die Marehan -Herrschaft konnte nicht ohne eine Allianz mit anderen Stämmen überleben. Da seine Mutter eine Ogadeni war, wurde dieser Stamm ebenfalls privilegiert. Die Ogadeni besetzen seither die meisten Posten in der Justiz und in den niederen Rängen in der Armee.

1988 organisierte eine Oppositionsgruppe, die vornehmlich vom Issak-Stamm getragene SNM (Somali National Movement) erstmals den offenen Aufstand gegen Barre. Mit überraschender Stärke griffen sie die Städte Nord-Somalias an und nahmen mehrere, darunter Hargeisa, die zweitgrößte Stadt des Landes, beinahe ein. Nur durch den Einsatz der Luftwaffe zum Bombenangriff konnte Barre einen Sieg der SNM verhindern. Dabei halfen ihm vor allem die Ogadenis. Östlich von Hargeisa verteilte die Regierung nach Ausbruch der offenen Kämpfe Waffen an die Mitglieder dieses Stammes und motivierte sie mit dem Versprechen zum Kampf gegen die SNM, nach dem Sieg - sprich nach der Vernichtung der „Issak -Banditen“ - könnten die Ogadenis deren Stammesgebiete samt Kamelherden in Besitz nehmen.

Fest steht, daß die Bombardierung Hargeisas von der somalischen Armee selbst durchgeführt wurde. Da sich somalische Piloten weigerten diesen Befehl auszuführen (ein Pilot war bereits nach Djibouti desertiert, wobei seine Maschine ins Rote Meer abstürzte), entschloß sich die Regierung, weiße südafrikanische Söldner anzuwerben, die mit den somalischen Hunter-Jets die Widerstandskämpfer und die noch in Hargeisa verbliebene Zivilbevölkerung vernichten sollten. Die Zahl der Toten kann nur grob geschätzt werden, mit Sicherheit geht sie in die Tausende.

Inzwischen wird das ganze Land von Bürgerkrieg, Stammesfehden und Banditentum erschüttert. Die Regierung hält sich in den Überresten der Städte an der Macht, die Rebellen beherrschen das Umland und setzen ihre Guerilla -Angriffe fort. Seit einem Jahr befinden sich auch die Ogadenis entlang der gesamten Grenze zu Kenia im bewaffneten Aufstand. Sie haben sich im „Somali Patriotic Movement“ zusammengeschlossen.

In den innenpolitischen Machtkämpfen könnte der Stamm der Hawiye (mit 40 Prozent der Bevölkerung der größte Stamm) in Zukunft eine entscheidende Rolle übernehmen: Bislang haben sie nur selten in das Gerangel der um die Staatspfründe feilschenden Marehan, Majerteen, Ogadeni und Issak eingegriffen. Doch je länger die bewaffneten Auseinandersetzungen dauern, desto häufiger muß die Armee zum Mittel der Zwangsrekrutierung greifen. Dabei werden auch immer mehr Hawiye eingezogen. Gerade in ihrem Gebiet in Zentralsomalia ist es in letzter Zeit wiederholt zu Überfällen und Fahrzeugentführungen gekommen. Hier hat sich der „United Somali Congress“ als Oppositionsgruppierung gebildet.

Wie sehr das Land von absoluter Willkür gezeichnet ist, zeigt sich auch längst in der Hauptstadt Mogadischu: Am 14.Juli 1989 war es dort nach der mysteriösen Ermordung des italienischen Bischofs von Mogadischu zu bewaffneten Straßenschlachten mit mehreren hundert Toten gekommen, weil Siad Barre islamische Fundamentalisten des Mordes bezichtigt hatte. Polizei, Staatssicherheitsdienst (NSS) und Militär zogen während der nächtlichen Ausgangssperre durch die Stadt, drangen in Häuser ein, verschleppten Verdächtige wie Unverdächtige und plünderten hemmungslos.

Die politische Willkür des Regimes beschleunigt auch den ökonomischen und sozialen Niedergang des Landes: Eine Produktion einheimischer Waren findet praktisch nicht mehr statt. Nicht nur Endprodukte, auch fast alle Halbfertigwaren und Rohstoffe müssen importiert werden, doch die Devisen werden knapp. 75Prozent des Staatshaushalts werden ins Militär gesteckt. Die Inflationsrate ist unfeststellbar hoch. Arbeit findet man so gut wie keine, außer man hat einen einflußreichen Stammesvetter. Von den kargen Löhnen allein kann ohnehin keiner leben. Man muß versuchen, sich zusätzlich Schmiergelder und unterschlagene Sachwerte zu beschaffen.

Seit Beginn der Unruhen haben viele Somalis die Krisengebiete verlassen und sind in die Hauptstadt gegangen. Mogadischu hat mittlerweile über eine Million Einwohner (bei knapp sieben Millionen im ganzen Land). Strom gibt es nur mit schwankender Spannung zu unbestimmten Uhrzeiten. Viele Stadtviertel haben schon seit Monaten kein Wasser aus dem überlasteten Versorgungssystem erhalten. Ein Zeichen für die zunehmende Verelendung ist die wachsende Zahl der Straßenkinder. Immer häufiger bilden sie Banden, die auch Raubüberfälle machen.

Am 21.Oktober begeht Siad Barre den 21.Jahrestag seiner Machtergreifung, wie immer mit einem Militäraufmarsch. Bereits im letzten Jahr fand die Parade nur vor ausgewähltem Publikum statt und war wesentlich kürzer als in den Vorjahren. Es bleibt abzuwarten, wie kurz sie diesmal sein wird. Nicht wenige Somalis hoffen, daß sie samt dem ungeliebten Jubilar ganz verschwindet.

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