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Neuer Mann Armeniens

■ Sprecher des Karabach-Komitees Ter-Petrossijan besiegt KP-Chef / Zwei Ultimaten aus Moskau im Nacken

Moskau (afp/taz) - Vergangenen Samstag hat der Oberste Sowjet Armeniens Lewon Ter-Petrossijan zum Präsidenten gewählt. Mit 140 gegen 46 Stimmen gewann Petrossijan im vierten Wahlgang gegen Wladimir Mowessijan, den Chef der Kommunistischen Partei Armeniens. Der neue Präsident gehört der gesamtarmenischen nationalen Bewegung an, die bei den Wahlen dieses Frühjahrs vor allem in Erewan einen großen Erfolg errungen hat. Schon in den 60er Jahren setzte er sich dafür ein, die blutige Verfolgung der Armenier im 1.Weltkrieg in der Türkei international als Völkermord zu verurteilen.

Er war 1987 einer der Gründer des Karabach-Komitees und wurde zu dessen beredtestem Vertreter. Während des Erdbebens wanderte er zusammen mit den übrigen elf Führern des Komitees auf Weisung Gorbatschows ins Gefängnis. Keinem der Inhaftierten wurde je der Prozeß gemacht.

Ter-Petrossijan hielt sich nach seiner Freilassung zur ärztlichen Behandlung in Paris auf, wo er die Solidaritätsbewegung für Armenien unterstützte, kehrte dann zurück und wurde ins Parlament gewählt. Wie alle Mitglieder des Komitees gehörte er zum Flügel der radikalen Demokratisierer und Petrestroika-Unterstützer, sah auch Gorbatschow ursprünglich als Verbündeten an, bis die intransingente Haltung der sowjetischen Führung in der Frage der Zugehörigkeit Berg-Karabachs zu Aserbaidschan ihn eines Besseren belehrte. Ter-Petrossijan sieht sich jetzt einem doppelten Ultimatum gegenüber. Das eine seitens der sowjetischen Streitkräfte in Armenien fordert die Herausgabe erbeuteter bzw. gestohlener Waffen und ist bereits abgelaufen; das andere wurde von Gorbatschow dekretiert und fordert die Auflösung aller informellen, bewaffneten armenischen Verbände bis zum 10. August. Hintergrund beider Ultimaten sind die sich häufenden Überfälle armenischer Gruppen auf Polizeistationen und Waffen bzw. Munitionsdepots. So sollen letzten Freitag aus einem Militärlager westlich Erewans 165 Flammenwerfer und 95 Raketengeschosse erbeutet worden sein, eine Angabe, die von armenischer Seite angezweifelt wird. Sowohl Armenien als auch Georgien haben das Präsidialdekret Gorbatschows zur Auflösung der bewaffneten Verbände suspendiert.

Ursprünglich hatten sich diese Verbände gebildet, nachdem klargeworden war, daß die sowjetische Armee den Mordtaten aserbaidschanischer Gangs gegenüber tatenlos blieb. Vor allem das Verhalten der Armee beim Massaker von Baku im Januar dieses Jahres, wo erst am sechsten Tag die Truppen der Zentrale einrückten, um dann nicht gegen die Mörder, sondern gegen die Volksfront von Asserbaidschan vorzugehen, hat das Vertrauen Gorbatschow gegenüber nachhaltig erschüttert.

C.S.

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