: Mit Sex gegen die ökologische Katastrophe
■ 700 Fans der freien Liebe im Anmarsch auf Walsrode / Gerichte: Mietvertrag in Ordnung
Die einen reden von „Sex-Klinik“, „Computer-Ficklisten“, „Partner-Tausch-Börsen“ und „Fällen für die Staatsanwaltschaft“. Die anderen reden von einem „neuen Konzept der menschlichen Zivilisation“, von „Sexpeace“, von „Befreiuung der Liebe zur Ermöglichung gesellschaftlicher Heilungsarbeit“ und einem „umfassenden Lebensmodell für die Lösung der sexuellen, sozialen und ökologischen Fragen unserer Zeit“.
So oder so - das kleine Städtchen Walsrode, 60 Kilometer von Bremen, ist in heller Aufregung. Ab Mittwoch haben sich rund 700 Anhänger des Sex-Befreiungsprojekts „Meiga“, alias „Jetzt
e.V.“ alias „Aktion Perestroika“ auf einem Zeltplatz im Ortsteil Vethem zu einem Sommercamp angesagt. Für 600 Mark pro Woche sollen dort 14 Tage lang „Fragen nach Sex, Sinn und Zukunft“ theoretisch diskutiert und praktisch erlebt werden. Motto des Camps, mit den Lernzielen „Liebe ohne Eifersucht“ und „Sexualität ohne Angst“: „Liebe ist unvermeidlich“. Hauptreferent „zu allen Fragen des Herzens und zu allen Themen, die unter die Haut gehen“, wie es im offiziellen Werbeprospekt heißt: Dieter Duhm, der schon Ende der 60er Jahre freie Sexualität als Heilmittel gegen die „Angst im Kapitalismus“ empfahl und seine Thesen
von damals inzwischen als spritus rector des Projekts „Meiga“ auf den Matratzenlagern der verschiedensten Kommune -Experimente in die Praxis umsetzt.
In Walsrode mit der Rückendeckung höchstrichterlicher Verfügungen: „Der Zeltplatz ist dem Veranstalter incl. aller Nebenanlagen zu alleiniger Nutzung zur Verfügung zu stellen“, entschied das Oberverwaltungsgericht Hamm am letzten Freitag. Fritz Schatschneider, Geschäftsführer der Jugendorganisation Falken und in dieser Eigenschaft ursprünglich nichtsahnender Vermieter des falken-eigenen Zeltplatzes hatte kalte Füße bekommen, als ihm Gerüchte über Ziele
und Praktiken seiner Vertragspartner zu Ohren kamen. Bei einem klärenden Gespräch mit den Meiga-Managern habe er daraufhin nur „butterweiche Ausflüchte“ und „Lügen“ als Antwort erhalten. Schatschneider: „Daraufhin habe ich den Mietvertrag fristlos gekündigt.“ Beim Verwaltungsgericht Bielefeld fand Schtschneider noch Verständnis für seine plötzlichen Bedenken gegen die rätselhaften Gäste, das Oberverwaltungsgericht Hamm allerdings konnte keine „hinreichenden Beweise für eine Störung der öffentlichen Ordnung“ erkennen und erklärte den Mietvertrag (Zei-Wochen -Miete: 42.000 Mark) für rechtmäßig.
Inzwischen sieht auch Schatschneider keine juristische Handhabe gegen die Sexpeace-Jünger und - Jüngerinnen. Dabei sind Schatschneiders Bauchschmerzen nur noch größer geworden, seit er eigene Recherchen über die Duhm-Fans angestellt hat. Der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche, der Berliner Pastor Friedrich Haak, fast sein Urteil über die Duhm-Fans z.B. so zusammen: „Leben in absoluter Promiskuität, Leben im absolutem Dreck.“
Ein Besucher des Meiga-Vorläufer-Projekts „Bauhütte“, Ende der 70er Jahre ebenfalls von Dieter Duhm ins Leben gerufen, bestätigt Haaks Urteil. Er notierte u.a.: „Kleinkinder sind mit starken Hauterkrankungen, Abszessen, eitrigen Lippen und Ohrpartien sowie angeschwollenen Genitalien versehen.“ Mögliche Ursache: Dieter Duhms Theorie der „Selbstheilungskräfte des Körpers“. In „neun Thesen der Bau
hütte zur Entfaltung der Selbstheilungskräfte“ heißt es z.B.: „Aids-Viren sind meistens Produktionen des eigenen Leibes. Sie sind nicht Auslösung, sondern Folge der Krankheit“. Duhms Therapie-Vorschlag: Mehr Kommunikation, mehr Kooperation.
Auch sein sexuelles Credo entwickelte Duhm im Bauhütten -Projekt im Schwarzwald-Dorf Tegernau. „Die Frau liebt es, ganz Objekt zu sein. Die Frau will vom Mann gegriffen und genommen sein“, heißt es in einem Manifest der Bauhütte. In ihrem im Meiga-Verlag erschienen Buch „Rettet den Sex“ entwickelte Herausgeberin und Duhm-Mitstreiterin Sabine Kleinhammes diese These weiter: „Ich beschwöre es bei allem, was ich gesehen und erfahren habe. Nicht an jeder Vergewaltigung trägt der Mann die Hauptschuld.“ Auch Sabine Kleinhammes ist als Referentin in Walsrode angekündigt.
In er Stadtverwaltung Walsrode und in der zuständigen Bezirksregierung Fallingbostel laufen inzwischen die Aktivitäten auf Hochtouren, um zumindest die ortsansässige Jugend vor den zwielichtig amourösen Ausschweifungen der Sexpeace-Front zu schützen. Nichts Genaues weiß man nicht lautet der Erkenntnisstand der Jugendschützer gestern noch. Wenn das Material ausreicht, so der zuständige Bezirks -Jugendschützer Leseberg, soll der Zeltplatz Vethem für 14 Tage zum „jugendgefährdenden Ort“ erklärt werden. Eine Meiga -Sprecher: „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Wir machen gar kein Liebescamp 'in dem Sinne‘.“
K.S.
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