: Absturz und Höhenflug
■ Die neuen Arbeitslosenzahlen aus Ost und West
Einen Monat nach Beginn der Währungsunion legen die Arbeitsstatistiken in der DDR und in der Bundesrepublik offen, wer von der Einheit profitiert, und wer dabei zumindest zeitweilig - unter die Räder kommen wird. Während in der Bundesrepublik trotz saisonbedingt leicht gestiegener Arbeitslosigkeit die Beschäftigtenzahl von einer Rekordmarke zur nächsten wächst, sind die Zahlen in der DDR nur das Wetterleuchten des bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Da helfen auch die plumpen Beschwichtigungen des heimlichen DDR-Regierungschefs wenig: wenn Staatssekretär Günter Krause (CDU) bemerkt, die Arbeitslosenzahlen in der DDR blieben doch immer noch weit unter bundesdeutschem Niveau, ist das nichts weiter als ein unverschämter Versuch der Volksverdummung.
Entscheidend sind vorerst noch nicht die absoluten Zahlen, entscheidend ist die Tendenz. Und die zeigt die Bundesrepublik auf einem ununterbrochenen ökonomischen Höhenflug und die DDR auf rasender Fahrt in den volkswirtschaftlichen Absturz. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn zwei Volkswirtschaften von so extrem unterschiedlicher Leistungsfähigkeit ohne Übergangsfrist zusammengeworfen werden. Der vielgerühmte Markt - das müßten doch die Apologeten der reinen marktwirtschaftlichen Lehre in West und Ost wissen - schafft schließlich zuallererst ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Wirtschaftssubjekten, bei dem der Stärkere gewinnt und der Schwächere ins Gras beißt. Nichts anderes geschieht jetzt, und das drückt sich in den Arbeitsmarktzahlen hüben wie drüben aus.
Die Zahlen für die DDR signalisieren nur den Anfang einer absehbaren Entwicklung. Natürlich sind nicht alle 650.000 KurzarbeiterInnen notwendig zukünftige Arbeitslose. Aber fest steht, daß viele von ihnen nach einer wahrscheinlich kurzen Übergangszeit ihren Platz in der Arbeitsmarktstatistik wechseln werden. Die Experten der Arbeitsverwaltung in der DDR glauben, daß rund 50 Prozent aller jetzt noch Kurzarbeitenden zukünftige Arbeitslose sind. Das wären nach heutigen Zahlen rund 600.000 Beschäftigungslose in der DDR - dabei hat die Talfahrt der DDR-Ökonomie vier Wochen nach Beginn der Währungsunion gerade erst begonnen. Haltet euch gut fest, möchte man den Beschäftigten und Politikern in der DDR nur zurufen - aber die letzteren steigen ja eh bald aus. Die Betroffenen haben es da schwerer.
Martin Kempe
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