: Sparsame Länderchefs: Berlin kriegt Präsident, Bonn die Macht
Regierungssitz Berlin rechnet sich nicht. Jedenfalls nach Ansicht von neun der elf bundesrepublikanischen Ministerpräsidenten. Sie wollen den Regierungssitz in Bonn belassen und damit nebenher 100 Milliarden D-Mark Umzugskosten sparen. Das geht aus einem Positionspapier hervor, daß am Rande der Ministerpräsidentenkonferenz bekannt wurde. Berlin darf als Hauptstadt demzufolge ein bißchen repräsentieren und den Bundespräsidenten beherbergen. Regierung, Parlament und Verwaltung aber sollen in Bonn bleiben. Berlin ist empört und Niedersachsen noch unentschlossen.
Mit dem Vorstoß, vom hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann initiiert, soll der Föderalismus gestärkt werden. Außerdem gelte es die Zentralisierung durch ein übermächtiges Berlin zu verhindern. Sie wollen sogar noch weiter dezentralisieren: Frankfurt könnte danach Sitz des Bundesrates, Leipzig Standort einiger Gerichte, Weimar Tagungsort der Kultusministerkonferenz werden. Für Berlin würden dann der Tagungsort der Bundesversammlung und EG -Institutionen abfallen. Die Bonner Verwaltung hat unterdessen erstmals konkrete Zahlen über die Auswirkungen eines Hauptstadtumzuges nach Berlin vorgelegt. Danach wären 30,4 Prozent aller Arbeitsplätze (in Zahlen 40.700) in Bonn und dem angrenzenden Rhein-Sieg-Kreis von einer Verlegung betroffen. Dazu gehören die Stellen von Bundesbediensteten, Journalisten und Botschaftsangehörigen. In Bonn selbst verdienen die entsprechenden Berufsgruppen 48 Prozent des Gesamteinkommens.
Die bisherige Zurückhaltung der Stadtverwaltung im Streit um die Hauptstadtfrage hat nach Auskunft des Bonner Oberstadtdirektor Dieter Diekmann „taktische“ Hintergründe. Man habe auf Polemik gegen Berlin verzichtet und dafür versucht, die „Entscheidungsträger“ behutsam und sachlich zu überzeugen. Als Teilerfolg dieser Bemühungen bewertete Diekmann die jüngste Fürsprache der Ministerpräsidenten. In den kommenden Monaten wollen die Bonner nun auch die DDR -Bürger überzeugen. Sie versprechen sich dabei nicht zufällig einiges von der Berlinphobie der künftigen Bundesländer Sachsen und Thüringen. Nach Auskunft der Stadtverwaltung haben einige Volkskammerabgeordnete nach einem Bonn-Besuch ihre Meinung zur Hauptstadtfrage schon geändert.
Maxie Müller
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