piwik no script img

SPD im leichten Aufwind

■ Sozialdemokraten feiern Erfolg in Wahlfrage als Stimmungswende / Unruhe im Kanzleramt / Kohl setzt weiterhin auf Demagogie / Lambsdorff betont Junktim zwischen Wahl und Beitritt

Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) - Ein wenig ist sie umgeschlagen, die Stimmung in Bonn. Recht zuversichtlich geben sich seit dem Wochenende die Sozialdemokraten. Ein leichter Mißmut herrscht dagegen im Kanzleramt. „Wir waren zuletzt im tiefsten Tief“ sagt einer aus der Umgebung von Oskar Lafontaine. Jetzt schaue man in der SPD wieder optimistisch nach vorne. Was diesen Blick auf eine rosigere Zukunft verschafft, als sie die letzten Umfragen vorhersagen, ist allerdings nicht so recht auszumachen.

Zwar hat die SPD Helmut Kohl erstmals seit längerem ihre gequälte Gefolgschaft verweigert, als sie beschloß, der Änderung des Artikel 39 nicht zuzustimmen. Zwar kündigte man den Widerstand recht schnell an - schon zwei Tage nachdem DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere gefordert hatte, die Wahlen vorzuverlegen. Zwar waren sich fast alle maßgeblichen Sozialdemokraten darüber einig, daß man der Bundesregierung in diesem Punkt nicht nachgeben dürfe. Viel mehr als solche Selbstverständlichkeiten steckt hinter dem demonstrativen Selbstbewußtsein der SPD allerdings nicht. „Es freuen sich alle darüber, daß wir überhaupt eine Gegenposition gefunden haben.“ So erklärt es ein Sozialdemokrat aus der Parteilinken.

Daß die SPD so schnell und so geschlossen abgelehnt hat, hält er seinen GenossInnen kaum zugute: Man habe eben nach den ersten Funk- und Pressekommentaren gemerkt, daß die öffentliche Meinung vorgezogene Wahlen durch Grundgesetzmanipulation nicht gutheißen würde. Überdies sei man sicher gewesen, daß Helmut Kohl sein Ziel über ein künstliches Mißtrauensvotum nicht erreichen könne. Schließlich sei man recht schnell auf „die Kompensationsleistung Zustimmung zu einem früheren Beitritt“ gekommen.

Noch etwas anderes scheint die Laune der demoralisierten GenossInnen gehoben zu haben: Der Kanzlerkandidat ist nun wieder präsent. Daß Oskar Lafontaine sich seit geraumer Zeit in Bonn nicht mehr hatte blicken lassen und ein wenig zu oft im Urlaub weilte, „hat die Stimmung schon arg gedrückt“, sagt einer seiner Gefolgsleute. „Man hat sich hier in Bonn einfach einsam gefühlt.“ Allein für seinen Auftritt vor der Presse am Montagabend, erntete Lafontaine fast schon begeisterte Zustimmung, obwohl er nicht mehr bot als für wenige Minuten den einstmals gewohnt kämpferischen Herausforderer zu markieren. „Helmut Kohl ist auf der ganzen Linie eingebrochen“, rief er etwa und beschimpfte den Kanzler ob seiner „eklatanten Fehlurteile der letzten Jahre.“ In der anschließenden Fragerunde meldete er sich kaum mehr zu Wort. Die Genossen waren's am Tag drauf trotzdem zufrieden, „Hauptsache, er ist wieder da“ - auf diese Formel brachte es ein Sozialdemokrat.

Im Lager der Bundesregierung hatte sich die Stimmung eher etwas eingetrübt. Der Coup mit den vorgezogenen Wahl ist mißlungen. Und die Chancen von Helmut Kohl werden gewiß nicht besser. Allerdings stellt man sich im Kanzleramt schnell auf die Lage ein, indem man versucht, aus dem Mißlingen des Unternehmens vorgezogene Wahlen die Kampagne gegen die Sozialdemokraten um eine neue Variante zu bereichern: Die SPD mißachte mit ihrem Nein die Wünsche der Menschen in der DDR, beschied Helmut Kohl gestern etwa die fragende Öffentlichkeit. Ihr Verhalten sei schädlich.

Während Kohl vor allem auf das mangelnde demokratische Verständnis abhob, übernahmen Finanzminister Waigel und FDP -Graf Lambsdorff den wirtschaftspolitischen Part: Die wirtschaftliche Situation werde noch schlechter, wenn nicht auch mit dem Beitritt gewählt würde. Zwar gestand der FDP -Graf zu, daß sich durch Wahlen und Beitritt „nicht alle Probleme von selbst lösen.“ Es werde sich jedoch, so Lambsdorff, das Vertrauen der Investoren verbessern.

Oskar Lafontaine ließ sich das neue, mühsam aufgebaute Selbstbewußtsein der SPD durch die massiven Vorwürfe der Bundesregierung nicht nehmen. Man habe, so Lafontaine, der Bitte der Bundesregierung entsprochen, gemeinsam über weitere Maßnahmen zu beraten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen