: Selbst im Antiquariat
■ Bilder von Susanne Radtke im Ku'damm-Karree
Eine schmale Stiege führt hinauf in einen langen Raum. Fast möchte man Saal sagen, so feierlich wirkt er, zumindest sonntags, wenn Ruhe am Ku'damm und im „Ku'damm-Karree“ herrscht und durch das gewölbte Deckenglas das Licht ungebrochen fällt und gleichmäßig den mit hellem Stein ausgelegten Ort durchflutet. An den langen Wänden reihen sich antiquarische Bücher, vom Goethe-Band bis zur Kriegsfibel, und alle Schritte recken sich moderne, leichtblättrige Pflanzen.
Hier hängen in einer Reihe Bilder von Susanne Radtke, Gemaltes und Gezeichnetes. Wie sie sich in einheitlichem Rahmen an der Wand entlangstrecken, dokumentieren sie die Entwicklung der Malerin. Rechts, an der Treppe, macht Pastoses den Anfang. Linien und Schraffuren suchen die Form. Was so entstand, balanciert zwischen Figürlichem und Abstraktem. Die Gebilde haben ihren zarten Farben zum Trotz etwas Wuchtiges und tragen Pathos mit sich. „Dithyrambisch“ sozusagen. Mit den Jahren und weiter nach links werden die Farben kräftig erdig. Durch das morbide Grau und Braun leuchten Rot, Gelb und Blau, die Vorder- und Hintergrund miteinander verschachteln. Bauchweh oder Maske und Totenbild: die Titel tragen den Stimmungen Rechnung. Die Schwere hat sich von der Form gelöst und in die Farbe verlagert. So kann es sich schon mal ein Bein erlauben, unter dem schmerzenden Bauch putzig einzuknicken. Hinzugekommen ist noch der Sand, der mit der Farbe verbunden den kreisenden Pinselstrichen etwas Handfestes gibt, etwas von „mit beiden Beinen auf der Erde stehen“.
Bei der Ausstellung in der Antiquariatshandlung im Ku'damm -Karree handelt es sich um Radtkes erste Ausstellung in Berlin. Vor ihrer ersten Einzelpräsentation in Karlsruhe ging die gebürtige Kirchheimerin mit Performances auf die Straße, ganz klassisch in feministischem Selbstverständnis. Sie unternahm auf eigene Faust eine Studienreise durch Java und beteiligte sich dort an einer Gruppenausstellung in Yogyarkarta. In Berlin folgte der Umbruch, war Neuorientierung Pflicht. Diesen normalerweise durchflutenden Touristen und Einkäufern vorbehaltenen Ort im Ku'damm-Karree wählte Susanne Radtke aus Not und Tugend. Zum einen fehlten ihr die Beziehungen zu hiesigen Galerien. Zum anderen schätzt sie die Freiheit, die ihr das in Ausstellungsdingen unbewanderte Geschäft ließ: Auswahl, Hängung, Pressearbeit und Organisation der Eröffnung konnte und mußte Radtke selbst erledigen. So trägt die Präsentation nur ihre eigene Handschrift.
Das ist dem Ausgestellten nur angemessen, denn es handelt sich dabei um eine Art malerisches Tagebuch. Am deutlichsten wird dies in der Serie von sechs farbigen Zeichnungen, die in (halb)automatischer Weise entstanden. Zwischen die Linien schmuggelt sich schon mal Schrift: Das Blut der anderen zitiert zwar Simone de Beauvoir, steht aber in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches. Darüber Die Hoffnung, unter der: bin ich. Die Zeichnungen finden ihre Fortführung in den Bildern. Dort lieferten sie die Grundlage für die Farbschichten, die über sie gelegt wurden, bis sie unsichtbar geworden waren. Die gebrochenen Körper, die sich aus ihnen schälen, sind gleichzeitig Wiedergabe und Katalysator von Radtkes Nachdenken über ihr Leben „als Frau“. Ganz auf Radtke selbst bezogen, bleiben sie wenig aufschlußreich für andere, die nicht Radtke heißen.
Von der gegenüberliegenden Buchreihe aus betrachtet, wirkt die Reihung der Aufzeichnungen kongruent, dabei dezent: so, als ob sie schon immer hier zwischen Leder- und Papprücken gehangen hätten und hier auch bleiben würden - die Spiegelungen auf dem Rahmenglas, sich dazwischenschiebende Drucke des Antiquariats verstärken den Eindruck noch. Aber Susanne Radtke wird sich für ihre nächste Ausstellung einen konventionelleren Platz suchen. Noch einmal die ganze Arbeit allein zu machen, dazu hat sie keine Lust. Für diesen zeit und kraftsparenden Schritt wird sie die galerieüblichen Bedingungen in Kauf nehmen.
Claudia Wahjudi
Bis zum 31. August. Ku'damm 207, Berlin 15; täglich von 11 bis 22 Uhr.
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