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Deutsch-französische Atomkraft für die CSFR

■ In der tschechoslowakischen Atomindustrie geht die Angst vor den eigenen Kraftwerken um / Dennoch kein Atomausstieg

Von Friedhelm Wachs

Wer in der CSFR die Atomkraft verhindern will, muß sich schon heute gute Argumente und Kampagnen ausdenken. Er wird es mit der westlichen Atomindustrie zu tun haben.

Während sich in der CSFR nur schwerfällig der Protest gegen die Atompolitik formuliert, den Greenpeace im südböhmischen Temelin durch eine spektakuläre Kühlturmbesetzung mit dem Argument „Stoppt CSFRnobyl“ fördern wollte, sitzt die westliche Atomindustrie schon längst in den Verhandlungszimmern in Prag und Bratislava und dient ihre Meiler an.

Für die laufenden Atombauprojekte in Temelin und Mochovce wurden Siemens/KWU, die französische Frameatome und Westinghouse aus Großbritannien schon um die Teilnahme an den Ausschreibungen für die Atommeiler gebeten. Alle beteiligen sich zur Zeit an sicherheitstechnischen Gutachten für die alten Projekte. Und nicht nur das.

Gezielt lädt insbesondere die französische Atomindustrie Meinungsmacher, wichtige Entscheidungsträger in den Energiebetrieben und Politiker aus der CSFR nach Frankreich ein, um sie von den großen Vorteilen und der vermeintlichen Sicherheit der französischen Atomtechnik zu überzeugen. Gleichzeitig wird das Handwerkszeug vermittelt, wie man den Protest gegen die Atomenergie klein hält. Das Protokoll einer solchen Reise von Anfang Februar, das uns erst jetzt zugegangen ist, belegt, wie vertieft die Gespräche schon vor einem halben Jahr waren.

So protokollierte Frantisek Hezoucky, stellvertretender Direktor im AKW Temelin, über ein Gespräch mit der deutsch -französischen Gemeinschaftsfirma NPI, an der Frameatome und Siemens/KWU beteiligt sind: „NPI bietet die Möglichkeit der Zusammenarbeit bei der Errichtung eines neuen Standortes und bei dringenden Reparaturen in Temelin und Dukovany an.“ Da Frameatome keine eigenen Rechenanlagen für den Betrieb der Reaktoren herstelle, solle man sich doch bitte gleich an Siemens wenden.

Electricite de France (EdF), Dachverband der französischen Energiewirtschaft, fungiert als Koordinator der französischen Atomprojekte. So wurde den aus Prag und Bratislava angereisten Herren auch gleich deren Geschäftssicht vermittelt: „EdF setzt voraus, daß in der näheren Zukunft der geographische Gürtel zwischen Griechenland und der Ostsee unter einem Defizit an elektrischer Energie leiden wird, und das hauptsächlich aus vordergründig ökologischen Motiven. EdF möchte in die Zukunft investieren und hat deshalb mit Ungarn Gespräche abgeschlossen, nach denen es nun zur Lieferung von zwei Blöcken kommen wird.“

Auch die Firma Cogema, Betreiberin der Wiederaufbereitungsanlage Le Hague und einzige Gesellschaft, die vollständig einen Brennstoffzyklus von der Erzgewinnung bis zur Wiederaufbereitung betreibt, will mit der CSFR ins Geschäft kommen. Sie bot den tschechoslowakischen Atommanagern die Aufbereitung und Lagerung von Brennmaterial aus den VVER-Reaktoren an. „Mit Brennmaterial aus den VVER -Reaktoren haben wir bisher noch nicht gearbeitet, aber die Kosten dürften etwa bei 6.000 Franc pro Kilogramm liegen“, heißt es im Protokoll. Mit sowjetischem Brennmaterial wollen die Franzosen freilich nichts zu tun haben. Dies würde nur die Kosten erhöhen.

Doch die Franzosen bemühten sich nicht nur um die rein technische Abwicklung bei dieser Reise. Den Atommanagern aus der CSFR wurde die gesamte Erfahrung mit der Antiatombewegung des Westens und die Erfahrungen einer Befragung in der UdSSR nach Tschernobyl aufbereitet und in einer Kommunikationsstrategie dargelegt. Fazit: Totale Offenheit ist angesagt. „Transparenz über alles! Sogar das Kontrollsystem muß transparent sein.“ Natürlich bauten sich die Franzosen dabei als großes Vorbild auf:

„EdF nimmt niemals an Debatten mit Greenpeace teil. Sie hält sie für unseriöse Fanatiker, die man unmöglich mit vernünftigen Argumenten überzeugen kann. Die einzige Möglichkeit, Angst und Ungewißheit zu überwinden, ist, die Leute in das Kraftwerk zu bringen. EdF hat 300.000 Besucher jährlich, das sind 10.000 bis 40.000 Besucher pro Kraftwerk. Öffentliche Meinungsträger verbreiten oft überraschend gefärbte Informationen. Sobald EdF feststellt, daß ein bestimmter Reporter gegen KKWs ist, bietet sie ihm unverzüglich Aufklärung an. Es ist nützlich und notwendig, Verbündete außerhalb des eigenen Einflußbereiches zu suchen, vor allem Naturschützer - aber nichtmilitante. Mit ihnen kann man einen Dialog führen.“

Und da liegt das Problem in der CSFR. Entscheidend ist nicht mehr der schlechte Zustand der Atomkraftwerke in Jaslovske Bohunice und in Dukovany. Der wird allerorts zusammen mit der Forderung anerkannt, daß es so nicht weitergehen kann und deshalb schon aus Sicherheitsgründen zumindest die Meiler in Jaslovske Bohunice abgeschaltet werden müssen. Entscheidend ist, daß Frameatome, Electricite de France und Siemens Geld mit einer Atomtechnik verdienen wollen, die ihnen im Westen keiner mehr abkauft - und daß in der CSFR überalterte Braunkohlekraftwerke täglich soviel Dreck in die Luft schleudern, daß jenen „nichtmilitanten Naturschützern“ die westliche Atomenergie als der Ausweg erscheint.

Der Autor lebt als freier Journalist in Berlin.

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