: Meinungsbildende Bunkerbegehung
■ Gestern wurde der Bunker unter dem Hügel am Potsdamer Platz offiziell für einen Tag geöffnet / Zum Vorschein kam: nichts / Der vermeintliche „Führerbunker“ taugt nicht zur Mythenbildung
Grenzgebiet. Zum hundertsten Mal: Was da unter dem Grashügel am Potsdamer Platz liegt, ist - auch wenn das diverse grundgute Symbolkulturveranstalter ebenso wie bitterböse Neonazis und einfache Neutralabenteurer nicht wahrhaben wollen - nicht der Führerbunker, sondern der Einstieg zu einem kleinen Teil der weitläufigen Bunkeranlage unter Hitlers ehemaliger Neuen Reichskanzlei. Und dieser Einstieg zu den vermutlich technischen Räumen wurde gestern vormittag von Ostberliner Bauarbeitern freigebaggert, auf daß der Stadtrat für Inneres, Thomas Krüger, zusammen mit einem Troß von dazu geladenen Journalisten zur Besichtigung schreiten mochte. Man wolle sich nunmehr - ganz in der Tradition der Bürgerkomitees - persönlich ein Bild machen, Stasi-Objekte hätte man schließlich auch ausführlich gesichtet, war zu hören. Anschließend solle der Bunker, der
-wohl weil sich herumgesprochen hatte, daß dort (wie die taz ermittelt hatte) womöglich auch die Kantine für das technische Personal untergebracht gewesen sein könnte - in einer Agenturmeldung wieder zum „Speisezimmer“ avanciert war, vorerst wieder versiegelt werden. Bis eine endgültige Entscheidung über Erhalt oder Zerstörung getroffen ist, soll verhindert werden, daß - wie bereits im März - wieder Personen hinuntersteigen. Und während Senatssprecher Kolhoff, gestern ebenfalls unter den Bunkerbegehern, aus Wallfahrtsstätten-Verhinderungsgründen entschieden für Abreißen und Zuschütten ist und eher der Errichtung eines oberirdischen Holocaust-Denkmals zugeneigt ist, schließt der Innenverwalter Ost nicht aus, daß die Räume als eine Art Gedenkstätte genutzt werden sollten.
Erst mal brachte man also einige, besonders unter der Journaille beinhart umkämpfte Paare Gummistiefel auf den aufgerissenen und nunmehr grasfreien Hügel und schritt hinab ins feuchte Finstere, denn an Lampen hatte man irgendwie nicht gedacht. Die Erleuchtung kam - wie so oft - vom Fernsehen. Und im hellen Lichte der Kamerascheinwerfer sah das unterirdische vermeintliche Gruselkabinett dann doch ziemlich profan aus: Überall steht das Grundwasser Knöchelhoch in den völlig leeren Räumen. Nix Schädelchen, nix Malereien, nix Waffen - kein Nazifitzelchen zu sehen, belanglos erscheint der Ort und unsensationell kahl. Auf den Stahltüren steht „Schleuse“, „Maschinenraum“, „Toiletten“ oder „Wasch- und Brauseraum“ - eine „Reichsrundfunk„ -Aufschrift ist das Maximum an Zeitkolorit, da halten dann auch die Fernsehkameras drauf. Ansonsten langweilen sich die hartgesottenen Frontberichterstatter und beschäftigen sich lieber damit, die tiefgründelnden Feuilletonkollegen lustig -lustig in unsichtbare tiefe Löcher plumpsen zu lassen. Derartige Späße könnte man allerdings auch anderswo treiben.
Zur Wallfahrtsstätte taugt dieses Objekt jedenfalls ohnehin nicht.
grr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen